Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Man ist in manche Fälle stark emotional eingebunden“
> Stephan Bublitz war von 2015 bis 2019 Jugendschöffe am Amtsgericht
> Magdeburg. Er schätzte die Einblicke in Lebenswelten, die er dabei bekam
Bild: Stephan Bublitz
Für vier Jahre war ich Jugendschöffe am Amtsgericht in Magdeburg. Ich muss
dazu sagen, dass ich schon zuvor Mitglied im Jugendausschuss der Stadt war
und häufig mit Themen rund um das Leben von Jugendlichen und ihren Familien
konfrontiert gewesen bin. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich Interesse am
Ehrenamt hätte und ich dachte mir: Na gut, warum nicht? Also habe ich mich
beworben und wurde angenommen.
Der entscheidende Grund für meine Bewerbung war letzten Endes meine
Neugier. Ich wollte erfahren, was im Gerichtssaal tatsächlich vonstatten
geht. Wenn es nicht gerade extreme Fälle sind, bekommt man ja vom täglichen
Geschehen in der Justiz eigentlich wenig mit, und genau das hat es für mich
so reizvoll gemacht.
Ein Tag als Schöffe läuft wie folgt ab: Mit genügend Vorlauf erhält man
eine schriftliche Mitteilung des Gerichts, dass man für einen bestimmten
Termin als Schöffe benötigt wird. Der Vorlauf ist wichtig, da man sich an
diesem Tag von der Arbeit freistellen lassen muss, um das Ehrenamt ausüben
zu können.
Die meisten Termine sind an einem Vormittag. Dann geht man mit seiner
Vorladung zum Gericht und wird vom Pförtner kontrolliert und zum Saal
geleitet. In der Regel wartet man nun vor dem Gerichtssaal auf die Ankunft
des hauptamtlichen Richters. Nachdem dieser erschienen ist, geht es in
einen Vorraum zur Besprechung. Erst zu diesem Zeitpunkt erhält man einen
kleinen Einblick in den Fall. Das handhabt aber jede*r Richter*in
anders. Ich habe auch häufig kaum etwas zum Fall erfahren dürfen.
Nach kurzer Besprechung geht es in den Gerichtssaal. Als Schöffen sind wir
immer zu zweit bei einer Verhandlung. Häufig ein Mann und eine Frau, die
den hauptamtlichen Richter unterstützen. Gegenüber sitzen die angeklagte
Person, die Strafverteidigung und die Staatsanwaltschaft.
Wenn die Verhandlung beginnt, höre ich immer akribisch zu und mache meine
Notizen. Genau wie der Richter sind auch wir berechtigt, Fragen an die
angeklagte Person zu stellen. So zieht sich die Verhandlung in der Regel
bis zum Mittag. Zwischendrin gibt es manchmal eine kurze Pause. Es ist bei
mir tatsächlich nur zweimal vorgekommen, dass ein zweiter Verhandlungstag
vonnöten war.
Wenn man dann alle Informationen aufgesaugt hat und die Verhandlung zu Ende
geht, äußern Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Vorstellung des
Strafmaßes.
Danach begibt man sich mit dem hauptamtlichen Richter in einen Hinterraum
zur Urteilsbesprechung. Dort lassen wir die Verhandlung Revue passieren und
hören uns die Argumente des Richters an und wägen ab.
Meistens ist die Meinung des hauptamtlichen Richters auch die eigene. Da
wir aber zu zweit sind, können wir auch für eine Abmilderung oder Erhöhung
des Strafmaßes plädieren. Beides ist in meiner Laufbahn als ehrenamtlicher
Richter schon vorgekommen.
Die meisten Urteile beschränken sich auf Sozialstunden oder Bezahlungen.
Wenn es aber hart auf hart kommt und die Jugendlichen zum wiederholten Mal
eine Straftat verübt haben, gibt es auch Verurteilungen mit Einweisung in
die Jugendhaftanstalt.
Ich muss sagen, man ist schon stark emotional in einige Fälle eingebunden.
Es geht ja um Schicksale von Jugendlichen und das macht etwas mit einem.
Man hofft immer, dass die verurteilte Person am Ende einen besseren Weg
einschlägt und nach vorne schaut. Ab und an hatte ich aber auch Zweifel, ob
eine Verurteilung bei den Personen fruchten wird. Man erfährt ja in der
Regel nicht, ob sich da ein Wandel vollzieht und nur durch einen großen
Zufall bekommt man die gleiche Person noch mal vor Gericht zu sehen.
Es gab glücklicherweise keinen Fall, an dem ich länger zu knabbern hatte.
Ich muss aber auch dazu sagen, dass die meisten Fälle im Jugendstrafrecht
kleinere Delikte sind. Diebstahl, Erpressung und so weiter. Die meisten
angeklagten Jugendlichen kamen auch aus prekären sozialen und ökonomischen
Verhältnissen, das beschäftigt einen häufig mehr als die Tat selbst. Das
nimmt einen schon mit und man fragt sich: Meine Fresse, was ist da bloß
schiefgelaufen?
Auch Freunde und Familie merken natürlich, dass einen das beschäftigt.
Logischerweise habe ich mich mit ihnen auch mal ausgetauscht, um besser
damit klarzukommen, auch wenn das nur in einem gewissen Rahmen möglich ist,
wegen der Schweigepflicht. Explizite Namensnennung oder Beschreibungen sind
nicht erlaubt.
Alle in meinem Umkreis haben es sehr positiv aufgenommen, dass ich das
Ehrenamt ausübe. Ich werde dafür respektiert.
Das Wichtigste für das Amt als Schöff*in ist meiner Meinung nach
Aufgeschlossenheit. Man muss die Lust mitbringen, Dinge mitentscheiden zu
wollen. Das muss schon ein fester Wunsch sein, dieses Ehrenamt auszuführen
– denn einmal drin, gibt es kaum einen Weg wieder raus. Für die Amtszeit
gilt Anwesenheitspflicht, wenn man berufen wird. Nur durch Tod oder Umzug
in eine andere Stadt kommt man raus.
Wichtig ist auch, dass der/die Arbeitgeber*in mitmacht. Letzten Endes
wird man zwar entschädigt und falls ein Arbeitsausfall stattfindet, wird
dies auch gedeckt, aber man muss schauen, ob das mit dem eigenen Beruf
vereinbar ist. Ich hatte jährlich 10 bis 15 Einsätze.
Zusammenfassend ist das Schöff*innenamt nicht für jeden etwas, aber wenn
man die rechtlichen Bedingungen erfüllt und den Reiz verspürt, judikativ
mitentscheiden zu wollen, kann ich es empfehlen, sich dafür zu bewerben.
Dann muss auch niemand ausgelost werden, der dieses Ehrenamt nicht ausüben
möchte – und das ist dann auch ein Gewinn für die Stadt oder die Gemeinde.
Protokoll: Gianluca Siska
24 Sep 2022
## AUTOREN
Gianluca Siska
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.