Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- taz🐾thema: Über Trauer reden
> Bei über 1.500 Bestattungen hat Gesine Palmer als Trauerrednerin
> Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen. Ein Gespräch über Verlust, was
> Menschen wichtig ist, was weitergegeben wird und „Feinstfühlarbeit“
Bild: Über ihre Erfahrungen aus mehr als 1.500 Beisetzungen berichtet Gesind P…
Von Annette Leyssner
Immer weniger Menschen fühlen sich an eine Kirche oder andere
Glaubensgemeinschaften gebunden. So finden freie Redner zunehmend Platz in
der Bestattungskultur. In Berlin stehen allein auf der Website der
Arbeitsgemeinschaft freier Sprecher 25 Trauerrednerinnen und Trauerredner.
Eine von ihnen ist Gesine Palmer.
taz: Frau Palmer, wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?
Als ich mich 2006 dazu entschied, hatte ich grade drei Trauerfälle in
meiner Familie gehabt. Bei zwei der Trauerreden hatte ich das Gefühl: Jesus
kommt zu schnell, über den Menschen wird zu wenig gesagt. Da dachte ich:
Das würde ich anders machen. Trauerrednerin ist ein ungeschützter Beruf.
Ich habe einen Flyer gestaltet und bin damit von Bestatter zu Bestatter
gegangen, mit dem Anliegen, dass sie mich vermitteln. Das war anfangs
mühsam. Einer hat gesagt: „Die Leute wollen keine Frau. Frauen sind klein
und haben Piepsstimmen.“ Es hat eine Weile gedauert, bis ich an meinen
ersten Auftrag gekommen bin.
Was definiert die Tätigkeit als Trauerrednerin?
Trauerrednerin, dieser Begriff umschreibt nur mäßig die damit gebotene
Dienstleistung. Ich verstehe mich eher als eine Person, die in modernen wie
in archaischen Kulturen die Grenze zwischen Tod und Leben rituell
verwaltet. Ich will Betroffenen in diesem Übergang helfen: Vom Leben mit
einem lebendigen Menschen in ein Leben mit nur noch Erinnerungen an die
Verstorbenen.
In Deutschland ist niemand verpflichtet, irgendwen außer dem Bestatter zu
rufen, wenn jemand stirbt. Warum rufen die Leute Sie? Was geben Sie ihnen?
Wie gesagt, bei mir steht der verstorbene Mensch im Mittelpunkt, nicht
Jesus oder gängige allgemeine Wendungen über „Gottes Wille“. Ich leiste
„Feinstfühlarbeit“, mache mich intuitiv auf die Suche nach dem, was dem
verstorbenen Menschen wirklich wichtig war. Neulich bekam ich eine positive
Rückmeldung: Eine nicht unkomplizierte Mutter und Großmutter hatte ich
gewürdigt, ohne ihr einen falschen Heiligenschein zu verleihen. Das haben
sie gemocht. Es ist möglich, milde und wahrhaftig zu sein.
Wie gestalten Sie die Feier?
Wir haben im Verband eine inoffizielle Liste der meistgewünschten Lieder.
Es führt „Abschied ist ein scharfes Schwert“ von Roger Whittaker. Beliebt
ist auch „Time to say goodbye“ von Andrea Bocelli. Das hat der Boxer Henry
Maske bei seinem letzten Kampf spielen lassen, und es ist auf einem
Kreuzfahrtschiffen ein beliebter Abschiedsgruß. Es geht natürlich immer
nach den Kunden. Einer wünschte sich ein Lied mit der Zeile: „Schnaps. Das
war sein letztes Wort. Dann trugen ihn die Englein fort.“
Musik ist aber nur ein Element.
Liturgische Elemente, also Zeremonien, weiß ich immer mehr zu schätzen. In
unserer säkularen Gesellschaft herrscht ja eine regelrechte liturgische
Abgeräumtheit. Es sind aber grade diese Dinge, die man nicht hinterfragt,
die Menschen in der Trauerfeier helfen können: Man steht auf, man setzt
sich hin. Man bekreuzigt sich. Meine Erfahrung ist: Es tut Menschen gut, am
Grab zu stehen und gemeinsam etwas zu sprechen. Gerade in der Trauer halten
sich Leute gern an den vertrauten Formulierungen fest. Manche sagen, sie
wollten „nichts Religiöses“. Ein „Vaterunser“ wollen sie oft trotzdem.
Welche Alternativen gibt es?
Alternativ schlage ich ein Gedicht von Andreas Gryphius vor. Es heißt
„Betrachtung der Zeit“. Das teile ich dann an alle Gäste aus und wir
sprechen es am Grab. Das Gedicht ist aus einer finsteren Zeit, dem
Dreißigjährigen Krieg. Ob uns wirklich ein Himmelreich empfangen wird, wenn
wir tot sind, das wissen wir so wenig wie wir wissen, ob wir den nächsten
Einfall des Unglücks in unser Leben überleben werden. Wie also weiterleben,
ohne von Angst zerfressen zu werden? Das lyrische Ich in diesem Gedicht
antwortet: „Ich halte es nicht in der Hand. Und ich weiß nicht, ob da
jemand ist, der es in der Hand hält und für mich zum Guten wendet. Ich soll
glauben? Gut, dann sage ich, was ich glaube und für gewiss halte: Der
Augenblick ist mein, und nehm ich den in Acht, so ist der mein, der Jahr
und Ewigkeit gemacht.“
Das lässt Interpretationsspielraum.
Diese Zuversicht kann man auf zwei Weisen interpretieren: Ich glaube, dann
kann ich gelassen sagen, ja, wenn ich nur wach und verantwortlich mit
meinem Augenblick, den ich habe, umgehe, dann tue ich auf jeden Fall das
Richtige, das, wozu mich mein Schöpfer geschaffen hat. Oder ich glaube gar
nicht an den Schöpfer, dann glaube ich doch wenigstens an das Leben im
Augenblick – und habe darin teil an der Weisheit, die jeden
lebensbejahenden Menschen durchdringt, mag er nun an einen persönlichen
Schöpfer oder an eine abstrakte Natur glauben.
Was sind Schwierigkeiten in Ihrem Arbeitsalltag?
Vernachlässigte oder fehlende Örtlichkeiten auf dem Friedhof machen die
Arbeit nicht leichter. Wenn ich mal viel Geld haben sollte, werde ich eine
Stiftung zur Einrichtung/Reparatur/Verschönerung von Toilettenanagen auf
Friedhöfen gründen.
Welche Rituale oder Phrasen mögen Sie am Grab nicht?
Was ich nicht mag: Das Bild vom Tod als „Erlöser“. Dieses „sie/er wollte
schon lange sterben“ – dem misstraue ich. Selbst wenn man weiß, dass man
bald sterben muss: Die Zeit, die man bis zum Tode noch lebt, ist auch
Lebenszeit. Da ist in unserer Gesellschaft Druck auf kranke und alte
Menschen, „loslassen wollen“ zu müssen. Für mich ist das eine
Achtungslosigkeit, eine Missachtung dessen, was Leben eigentlich ist. Immer
wieder wird mir von Menschen erzählt, die endlich sterben durften. Ich sage
„nein“ zum Tode. Ich stehe für das Bleibenwollen jedes Menschenkindes.
Täglich müssen Sie mit Tod und Trauer umgehen. Wie können Sie abschalten?
Wie alle, die solchen beruflichen Belastungen ausgesetzt sind, haben auch
wir Trauerredner unseren schwarzen Humor, unsere Verhaltensweisen, die von
Fachmenschen Entlastungsstrategien genannt werden. Ich unterhalte mich dann
zum Beispiel mit dem Feierbetreuer vom Bestattungshaus über den Erfolg oder
Nicht-Erfolg unserer letzten Diäten. Das muss sein, wenn du fast täglich
sprichst in Gesichter, die weinen, konfrontiert bist mit verkrampften
Familienszenen.
Braucht man im ständigen Umgang mit der Trauer Schutzräume?
Unbedingt. Das darf man ja kaum sagen, aber: Ich fahre immer mit dem Auto
zu den Bestattungen. Nicht nur wegen der Zeitersparnis. Das Auto ist mein
Schutzraum, mein Zufluchtsort. Manchmal höre ich da Kulturradio. Trotz
aller Rituale: Es gibt Tage, da fühle ich mich schon angefasst. Ich bin
Mitglied in zwei Berufsverbänden. Wir Kollegen sprechen regelmäßig über
unsere Erfahrungen. Das hilft.
Wie stellen Sie sich Ihre eigene Beerdigung vor?
Ich hätte gern eine evangelische Beerdigung. Weil ich irgendwie an der
Kirche hänge. Ich bin aus einer Theologenfamilie, selbst Mitglied der
evangelischen Kirche und werde es bis an mein seliges Ende bleiben. Auch
wenn ich nicht alles glaube, was da gepredigt wird. Mein Vater war Pfarrer
in der sechsten Generation. Also würde ich hoffen, dass man eine nette
Pfarrerin findet, und dass manche für mich „Befiehl du deine Wege“ singen
mögen und vielleicht ein schönes „Lascia“ von Händel oder so was. Ich wi…
ein Grab mit einem Stein und einen Hamamelisstrauch darauf, der im Winter
blüht.
10 Sep 2022
## AUTOREN
Annette Leyssner
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.