# taz.de -- berliner szenen: Woody Allen lässt grüßen | |
Es schüttet. In der Therapiestunde konnten wir diesmal meine Dürrepanik | |
außen vor lassen. Auch mal schön. Als ich gehe, leiht mir die Therapeutin | |
einen großen schwarzen Regenschirm und lächelt. Ich stoße die Tür des | |
Altbauhauses am Marheinekeplatz auf und laufe fast hinein in einen direkt | |
davor Stehenden. Er steht da, gerade noch im Trockenen, und raucht. Dreht | |
sich um. Wir kennen uns. Fast jeden Morgen sehen wir uns vor der Schule | |
unserer Töchter, die in eine Klasse gehen und auch ein bisschen befreundet | |
sind. Sich hier zu treffen, ist verwirrend. | |
„Was machst du denn hier?“, frage ich, fast ein wenig empört | |
wahrscheinlich, denn die Stunde nach der Therapiesitzung ist heilig und | |
gehört nur mir allein. Leicht schräg von unten schaut er mich an und sagt: | |
„My shrink is here.“ Ich schlucke kurz, blinzele und grinse dann. „Mine | |
too.“ „Welche ist deine?“, fragt er, und ich deute schweigend mit dem | |
Regenschirm auf den Namen meiner Therapeutin auf dem Schild neben der Tür. | |
Mit der Kippe zeigt er auf den Namen darunter. Wir sagen uns, wie gut wir | |
unsere Therapeutinnen finden. Wir sagen uns, wir würden uns wünschen, alle | |
Leute würden zur Therapie gehen, denn dann wäre die Welt eine bessere. Wir | |
sagen auch, dass man direkt nach der Therapie so ein bisschen dünnhäutig, | |
einsamkeits- und kaffeebedürftig ist – und welche Cafés in der Gegend wir | |
schon durchprobiert haben. | |
Die Kinder sind noch in der Schule. Der Regen fällt. Wir frösteln. Ein paar | |
Meter weiter stehen Dutzende, in der Passionskirche werden Lebensmittel | |
ausgegeben, für „Kreuzberger*innen, die sie brauchen können“. Wir stehen | |
vor dem Haus unserer Therapeutinnen. Alles ist unfassbar Woody-Allen-haft. | |
Dann sage ich, ich müsse jetzt meine Runde gehen, hebe grüßend meinen | |
Schirm und wage mich hinaus. Kirsten Riesselmann | |
14 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
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