# taz.de -- wasserstoff: Friede, Freude, Stoffwechsel | |
> Mit großem Aufsehen wird ein Abkommen zwischen Deutschland und Kanada | |
> geschlossen, damit grüner Wasserstoff in die Bundesrepublik gelangt. Doch | |
> noch sind die Anlagen und Terminals nicht einmal gebaut | |
Bild: Bravo, fein gemacht! Kanadas Minister für natürliche Ressourcen, Jonath… | |
Aus Calgary Jörg Michel | |
Auch in Neufundland ist der Weg in eine grüne Zukunft kein Selbstläufer. | |
Als Olaf Scholz zum Abschluss seines dreitägigen Besuchs in Kanada am | |
Dienstag in der Kleinstadt Stephenville eintraf, standen die Demonstranten | |
schon bereit. „Neufundland steht nicht zum Verkauf“, hatte eine Frau auf | |
ihr Plakat geschrieben, eine andere forderte: „Keine Windräder. Rettet | |
unsere Tierwelt.“ | |
Rund fünfzig Demonstranten hatten sich vor einer Industriehalle am Hafen | |
von Stephenville versammelt, um dem Kanzler und dem kanadischen | |
Premierminister Justin Trudeau klarzumachen, dass der Aufbruch in eine | |
emissionsfreie Energiegewinnung aus ihrer Sicht noch längst keine | |
beschlossene Sache ist. Jedenfalls nicht in Stephenville an der | |
windgepeitschten Westküste der Insel Neufundland. | |
Drinnen in der Halle sah man die Sache naturgemäß anders. Der Kanzler | |
sprach von einer „gewaltigen Chance“, Trudeau gar von einem „historischen | |
Schritt nach vorne“. Gemeint haben die beiden damit nicht nur einen | |
geplanten neuen Windpark in Stephenville samt Wasserstoffanlage, sondern | |
vor allem das erste offiziell zwischen Deutschland und Kanada | |
abgeschlossene Abkommen zum Export von grünem Wasserstoff, das zuvor in | |
ihrem Beisein feierlich unterzeichnet worden war. | |
Vereinbart haben beide Länder eine spezielle Energiepartnerschaft: Kanada | |
stellte in Aussicht, mithilfe erneuerbarer Energiequellen wie Wasser oder | |
Wind grünen Wasserstoff für den Export zu produzieren. Deutschland sagte im | |
Gegenzug zu, die Importeure und Verbraucher der aus Wasserstoff gewonnenen | |
Kraft- und Brennstoffe zu unterstützen. Erste Lieferungen nach Deutschland | |
sollen schon ab 2025 erfolgen. | |
Bei der Herstellung und Nutzung von grünem Wasserstoff entstehen keine | |
Treibhausgase. Allerdings muss dafür mit großem Energieaufwand Wasser in | |
Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Für den Transport per Schiff | |
wird der Wasserstoff in Ammoniak umgewandelt. Am Zielort dient der Rohstoff | |
dann als Basis für Kraft- und Brennstoffe, um fossile Energieträger wie | |
Kohle, Öl und Erdgas abzulösen. | |
Der vereinbarte Zeitplan ist ehrgeizig: Zwar gilt die Atlantikküste von | |
Kanada als idealer Standort, denn es gibt dort viel Wind und Wasserkraft. | |
Noch gibt es in der Region aber keine Terminals und Anlagen, die für den | |
Export geeignet wären. Laut kanadischer Regierung befinden sich derzeit 15 | |
Projekte in der Planungsphase und in Kanada hofft man, dass bis 2025 ein | |
oder zwei davon einsatzbereit sind. | |
Eine der [1][Anlagen ist in Stephenville geplant]. Ein kanadisches | |
Konsortium will dazu auf einer nahen Halbinsel 164 Windkraftanlagen bauen, | |
zwei weitere Windparks ähnlicher Größe sollen später folgen. Der damit | |
generierte Strom soll dann in einer Anlage im Hafen von Stephenville bei | |
der Herstellung von Wasserstoff und Ammoniak verwertet werden. Zwölf | |
Milliarden Dollar soll das Projekt kosten. | |
Weitere Projekte dieser Art sind bereits eingeleitet worden. Am Rande des | |
Scholz-Besuches vereinbarten der Düsseldorfer Uniper-Konzern und | |
Deutschlands größter Energieversorger Eon ebenfalls Verträge zur Lieferung | |
von grünem Wasserstoff. Die dazu nötige Anlage in Point Tupper, in der | |
kanadischen Provinz Nova Scotia, wird bereits gebaut. Geliefert werden | |
sollen ab 2025 je 500.000 Tonnen in Form von grünem Ammoniak. | |
„Die Transformation unserer Industrie geht weiter. Dies ist ein wichtiger | |
Schritt nicht nur zur Stärkung unserer bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, | |
sondern auch für eine zukunftsorientierte und nachhaltige | |
Energieversorgung“, lobte der Kanzler die Abkommen der Unternehmen. | |
Premierminister Trudeau schwärmte: „Wir haben hier in Kanada ein Angebot zu | |
machen, auf das die Welt wartet.“ | |
Kanada ist einer der Vorreiter in der Wasserstofftechnologie. Das Land | |
zählt zu den zehn größten Produzenten weltweit. Bislang wird der | |
Wasserstoff in den meisten Fällen noch mithilfe von Erdgas produziert, gilt | |
also nicht als klimaneutral. Mehr als einhundert Unternehmen arbeiten in | |
Kanada an der grünen Version. Für den heimischen Markt gibt es bereits die | |
ersten Produktionsstätten. | |
Im Rahmen ihrer Wasserstoffstrategie hat sich die Regierung Kanadas zum | |
Ziel gesetzt, ihr Land bis 2050 zu den Top-3-Produzenten weltweit | |
auszubauen. Dazu stellt sie den beteiligten Unternehmen rund neun | |
Milliarden Dollar an Fördergeldern und Steuererleichterungen zur Verfügung. | |
Wenn alles gut geht, könnten in der Branche laut Schätzungen mehr als | |
300.000 neue Jobs entstehen. | |
Bis es so weit ist, muss aber auch in Kanada noch Überzeugungsarbeit | |
geleistet werden. Zum Beispiel bei Demonstranten wie Marilyn Rowe, die mit | |
ihrem Protestschild eigens nach Stephenville gekommen war. Rowe wehrt sich | |
gegen das gewaltige Ausmaß der geplanten Windparks in ihrer Nachbarschaft. | |
Sie fühle sich als „Versuchskaninchen“, klagte sie. Als ein Opfer im | |
globalen Wettlauf um die Energiequellen der Zukunft. | |
25 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jörg Michel | |
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