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# taz.de -- Der Fall Ferda Ataman: Kulturkampf außen und innen
> Die Diskussion über die neue Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman
> war intensiv, aber vieles lief dabei schief. Aladin El-Mafaalani klärt
> die Grundlagen.
Bild: Ferda Ataman
Von [1][ALADIN EL-MAFAALANI]
[2][taz FUTURZWEI], 29.07.22 | Stellen wir uns vor, es hätte schon in den
1960ern eine Antidiskriminierungsbeauftragte gegeben. Mit dem
Problembewusstsein von heute wäre das eine nicht zu bewältigende Aufgabe
gewesen. Wo hätte man anfangen sollen? Mit dem Problembewusstsein von
damals hätte man kaum verstanden, wofür es überhaupt eine solche Stelle
braucht – und diese schon gar nicht mit einer Frau besetzt. Was lernen wir
aus einem solchen Gedankenexperiment?
In einer durch und durch hegemonialen und patriarchalen Gesellschaft
spricht man weder über Rassismus noch über Sexismus. Das liegt zum einen
daran, dass Betroffene nicht die Möglichkeit haben, offen darüber zu
sprechen. Zum anderen entwickeln Betroffene gar keinen starken Gleichheits-
beziehungsweise Gleichwertigkeitsanspruch, solange die ideologische und
gelebte Ungleichwertigkeit Kultur und Gesellschaft durchdringen. Wer sich
nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.
Erst wenn ein grundsätzlicher Gleichheitsanspruch vorliegt, der (zumindest
teilweise) auch gelebt und erlebt wird, beginnt das öffentliche Sprechen
über Ungleichwertigkeit – und zwar weil es weniger Ungleichwertigkeit gibt.
Ein Problem kann jahrhundertelang bestehen, aber es wird erst durch ein
ausgeprägtes Problembewusstsein wahrgenommen. Und öffentlich wird es erst
thematisiert, wenn eine kritische Masse ein solches Problembewusstsein hat.
Und die kritische Masse ist in der Regel erst dann erreicht, wenn das
Problem bereits etwas eingedämmt worden ist.
## Ein Kulturkampf zwischen offener Gesellschaft und Tendenzen der
Schließung
Heute stehen wir genau da. Die gesellschaftliche Teilhabe von den meisten
benachteiligten Gruppen hat sich wesentlich verbessert. Frauen, LSBTI+,
Menschen mit Migrationshintergrund und behinderte Menschen sind bei weitem
nicht mehr so ausgeschlossen wie früher, gleichzeitig ist Benachteiligung
bei allen (in unterschiedlichem Maße) noch immer messbar. Innerhalb der
Gruppen und in der Bevölkerung insgesamt ist das Problembewusstsein, also
die Sensibilität für bestehende Nachteile, relativ stark ausgeprägt.
Gestritten wird entsprechend nicht mehr darüber, ob es Diskriminierung
gibt, sondern darüber, wie sie beseitigt werden kann.
Gleichzeitig wächst der Widerstand bestimmter Gruppen gegen zunehmende
Gleichwertigkeit. Sollen Homosexuelle, Trans-Personen, Muslime und schwarze
Deutsche umstandslos dazugehören? Und noch mehr: Soll Homosexualität,
Trans-Identität, der Islam und Schwarzsein gleichwertig sein? Gegen diese
Form der offenen Gesellschaft im fortgeschrittenen Stadium formiert sich
der populistische Widerstand, aber auch konservative und religiöse
Tendenzen tun sich schwer mit dieser Pluralisierung der Gesellschaft. Man
kann hier von einem Kulturkampf zwischen offener Gesellschaft und Tendenzen
der Schließung sprechen.
Aber innerhalb der offenen Gesellschaft gibt es vielfache Konfliktlinien,
auch innerhalb der von Diskriminierung Betroffenen. Idealtypisch lassen
sich drei Positionen unterscheiden: Zum einen das Bedürfnis nach Teilhabe
und Zugehörigkeit, ohne dass die eigene Identität eine Rolle spielen soll.
Man will gerade nicht adressiert werden als „weiblich“, „schwul“,
„muslimisch“ oder „schwarz“. „Es“ soll egal sein. Zum zweiten exist…
Position, dass man in seiner Unterschiedlichkeit gesehen werden möchte.
Gerade das Frau-, Schwul-, Muslimisch- oder Schwarzsein wird hervorgehoben
und etwa mit dem Begriff „Stolz“ (Pride) positiv konnotiert und sichtbar
gemacht. Drittens werden die Unterscheidungen selbst dekonstruiert. Es wird
nach den Strukturen gefragt, die diese Unterscheidungen vorgeben, und es
wird gefragt, wer von diesen Unterscheidungen profitiert. Hier werden
Begriffe für nicht von Diskriminierung Betroffene entwickelt, etwa weiß,
cis, Mann. Diese letzte Position zentriert also die Privilegien der
Privilegierten und die Spielregeln selbst.
## Widerstreitende Perspektiven auf dasselbe Phänomen „Diskriminierung“
Es ist leicht zu erkennen, dass diese drei Positionen in einem
Spannungsverhältnis zueinander stehen, sich zum Teil widersprechen. Aber
sie koexistieren zeitgleich – und zwar berechtigterweise. Diese
Widersprüchlichkeit steckt bereits in der Diskriminierung selbst: Zum
Beispiel wenn der Migrant mal „faul in der sozialen Hängematte liegt“, ein
anderes mal „uns die Arbeitsplätze wegnimmt“ und bei besonderem Erfolg zum
„U-Boot“ wird und die Gesellschaft unterwandert. Oder die Frau mal „eine
Heilige“, ein anderes mal „eine Hure“, mal Mutter, mal Karrieristin und
mittlerweile alles zugleich sein soll. Betroffene, die in diesen
Widersprüchen aufwachsen, lösen sie nicht widerspruchsfrei auf, weil das
gar nicht geht. Zugleich sind die verschiedenen Positionen eine große
Herausforderung, denn: Benennt man die Differenz, benennt man sie nicht
oder dekonstruiert man sie? Jede Variante ist richtig und falsch.
Innerhalb der Antidiskriminierungsbewegungen gibt es also widerstreitende
Perspektiven auf dasselbe Phänomen „Diskriminierung“. Diese inneren
Differenzen gibt es innerhalb jeder „Gruppe“, also im Feminismus, im
Antirassismus und so weiter. Zudem gibt es Konkurrenzen zwischen den
Gruppen und selbstverständlich auch Diskriminierung zwischen
Diskriminierten. Dass man meint, das gäbe es nicht, ist genauso idiotisch
wie die Vorstellung, alle Diskriminierten sollen sich bitte einstimmig auf
eine Person einigen. Diese Vorstellung würde aus den drei Positionen heraus
als uninformiert oder romantisch oder hegemonial gedeutet werden – und
irgendwie kann alles drei stimmen. In jedem Falle ist ein solches Denken
insofern aus der Zeit gefallen, als dass es die spezifischen Bedürfnisse
und Erfahrungen sowie die Individualität betroffener Menschen – ja, es sind
normale Menschen – missachtet.
## Die Antidiskriminierungsbeauftragte ist nicht für gesellschaftliche
Harmonie zuständig
Die Neubesetzung der Leitungsposition in der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes hat zu einer aufgeladenen Debatte geführt. Ferda Ataman vereint die
Besonderheit, dass sie all die beschriebenen Baustellen aus jeder
dargelegten Perspektive thematisiert hat. Das ist geradezu ideal für eine
Antidiskriminierungsbeauftragte. Sie vertritt weniger eine bestimmte
Position oder ein bestimmtes Interesse, sondern deckt ein breites Spektrum
ab. Und das muss sie auch, denn: Berücksichtigt man nur Frauen, Menschen
mit Migrationshintergrund, LSBTI+ und behinderte Menschen, dann sprechen
wir bereits von über zwei Drittel der Bevölkerung. Hinzu kommen zunehmend
bedeutsame Diskriminierungen, nämlich aufgrund des Alters sowie aufgrund
der Religion und Weltanschauung.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte ist also nicht für gesellschaftliche
Harmonie zuständig, sondern für die Probleme und Interessen von
(potenziell) Diskriminierten und für die strukturellen Ursachen: Es müssen
die gesetzlichen Grundlagen weiterentwickelt, die Melde- und
Beratungssysteme für Betroffene bundesweit ausgebaut sowie die Themen
öffentlich sichtbar gehalten werden.
Das geht per definitionem nicht in Gemütlich.
ALADIN EL-MAFAALANI ist Soziologe und Professor am Institut für
Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität
Osnabrück.
28 Jul 2022
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## AUTOREN
Aladin El-Mafaalani
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