# taz.de -- „Alle haben mich für bescheuert gehalten“ | |
> Als Student verkaufte er anarchistische Bücher auf dem Bremer | |
> Uni-Gelände. Später ahnte Friedel Muders als einer der ersten, was das | |
> Internet für die Musik-, aber auch die Verlagsbranche bedeuten würde – | |
> und erfindet sich bis heute immer wieder neu | |
Bild: Aufhören? Joa, aber frühestens in fünf Jahren: Friedel Muders, Musikun… | |
Von Andreas Schnell | |
Man mag es kaum glauben, wenn Friedel Muders von Ruhestand redet. Nicht | |
jetzt, eher so in fünf Jahren – dann sei er 75. Dabei steckt der schlanke | |
Mann mit dem wuscheligen grauen Haar immer noch voller Energie – und Pläne. | |
Als ob er nicht schon genug erlebt und gemacht hätte. Damals, an der Bremer | |
Uni, organisierte er einen Büchertisch mit anarchistischer Literatur, weil | |
dort nur K-Gruppen und die DKP ihre Literatur verkauften. „Da musste man | |
doch was machen!“ | |
Ein paar Jahre später veröffentlichte er mit der Band M. Walking On The | |
Water eine der erfolgreichsten deutschen Indie-Bands auf seinem Label | |
Fuego, noch später gestaltete er preisgekrönte Plattencover für Bands wie | |
die Guano Apes. Und nicht zuletzt ahnte er als einer der ersten, welche | |
Veränderungen das Internet für den Konsum von Musik bedeuten würde – und | |
setzte voll auf digitale Vertriebswege; eine Zeitlang sogar mit einem der | |
ersten E-Book-Verlage Deutschlands. | |
Da wirkt seine neueste Veröffentlichung „Virus Vibes“, eine Doppel-CD mit | |
Bremer Bands, glatt ein wenig aus der Zeit gefallen. Wäre der Anlass nicht | |
brandaktuell: Corona hat auch die Musikindustrie schwer in die Bredouille | |
gebracht, lange gab es so gut wie keine Konzerte, für viele | |
Musiker*innen eine der wichtigsten Einnahmequellen. Um die Szene | |
sichtbar zu machen, riefen das „Stadtmagazin Bremen“ und das | |
Buy-local-Label Made in Bremen auf, Produktionen aus den letzten zwei | |
Jahren einzureichen, eine Jury wählte aus rund 100 Einsendungen 31 Songs | |
aus, Muders war für die Umsetzung zuständig. Dabei produziere er eigentlich | |
gar keine CDs mehr: „Es gibt keinen Markt dafür“, sagt er. „Deshalb hab … | |
gesagt, dass ich das nur in Zusammenarbeit mit den Bands mache, die | |
verkaufen noch welche. Wenn Leute ein geiles Konzert gesehen haben, kaufen | |
sie auch noch mal eine CD.“ | |
Wenn es nach Muders geht, sollen Institutionen wie die IHK oder Bremens | |
Landesvertretung in Berlin Besuchern die CD mitgeben. Die bekämen dann | |
einen recht bunten Mix auf den Weg: Das stilistische Spektrum reicht von | |
Rock ’n’ Roll mit plattdeutschen Texten von Knipp Gumbo über die | |
Punk-Urgesteine Mimmis und Exil-Country von Flatbilly Deville bis hin zum | |
Elektro-Punk-Sound des Noch-Trios Laturb. Was auf „Virus Vibes“ fehlt, ist | |
Hip-Hop, aktuelle elektronische Musik, aber auch Hardcore und | |
Experimentelles; Furore weit über die Landesgrenzen hinaus machten in der | |
jüngeren Vergangenheit zum Beispiel die Hip-Hop-Crew Erotik Toy Records und | |
die Punk-Band Team Scheiße. „Das sind Szenen, die sich in einer anderen | |
Öffentlichkeit sehen“, sagt Muders. „Die wollen einfach nicht dabei sein.�… | |
Er glaube ohnehin nicht, dass es noch einmal einen Bremen-Sampler geben | |
wird. | |
Aber dann kommt eben was Neues. Muders hat sich oft genug neu erfunden: Im | |
tiefsten Hunsrück aufgewachsen, wo die Eltern einen kleinen Supermarkt | |
führten, zog es ihn nach Koblenz, dann nach Mainz und schließlich nach | |
Bremen, wo er heute in einer Seitenstraße im Szeneviertel Steintor lebt, | |
nur einen Steinwurf entfernt von Rotlicht, Kneipen und Clubs. | |
Ins Musikgeschäft kam er Ende der 70er-Jahre. Sein Bafög besserte er sich | |
mit dem Vertrieb der Platten von Bands wie Ton Steine Scherben auf; Mitte | |
der 80er gründete er sein eigenes Label. „Meine erste Band war Maanam aus | |
Polen. Damals hab ich von der ersten LP 6.000 Stück verkauft. Da hatte man | |
alles finanziert und es blieb noch Geld über. Die vierte oder fünfte Band | |
waren dann M. Walking On The Water.“ Mit denen ging es ein paar Jahre rund. | |
70.000 Stück gingen von der ersten Platte 1988 weg. „Das war ein tierisch | |
guter Start.“ | |
Mitte der 90er brach dann der Markt für Schallplatten zusammen, Muders | |
sattelte auf Grafik-Design um: Der erste Auftrag kam von der Braunschweiger | |
Crossover-Band Such A Surge, dann kamen die Guano Apes. Die verkauften drei | |
Millionen Platten mit seinem Artwork. Ein lukratives Geschäft: „Wenn du so | |
viel verkauft hast, hast du auch mal einen Etat von 10.000 Mark bekommen. | |
Wir sind einmal mit fünf Leuten für drei Tage ins Bavaria-Studio nach | |
München gefahren und haben Fotos gemacht, von denen dann fast keins benutzt | |
wurde. Das war egal.“ | |
2006 lösten sich die Guano Apes auf, in einer Zeit, als die Musikindustrie | |
wieder einmal im Umbruch war, dank Filesharing, und CD-Brennern für Zuhaus. | |
„Ich hab ein bis zwei Jahre rumgekrebst und mir gesagt: Ich seh’da keine | |
Zukunft mehr. Wenn Apple nach Deutschland kommt, starte ich mein Label | |
wieder, aber nur noch digital. Alle haben mich für bescheuert gehalten. Die | |
ersten drei, vier Jahre waren hart. Ich bin da rangegangen wie an ein | |
normales Label, wollte fünf Alben im Jahr machen, hab dann aber gemerkt, | |
dass das ein ganz anderes Geschäft ist. Das funktioniert nur, wenn du einen | |
riesigen Katalog hast. Weil ich so früh war, konnte ich damals tierisch | |
viele Sachen kriegen.“ Jazzrock, Polit-Rock aus den 70ern, aber auch die | |
Schlagersänger Heintje und Rony landeten auf seinen Servern. Und nach ein | |
paar Jahren stabilisierte sich das Geschäft. | |
Aber klagt heute nicht die ganze Musikszene über Spotify und andere | |
Streamingdienste und deren ausbeuterisches Gebahren? Muders sieht das | |
differenzierter: „Ich habe mit Jürgen Fastje von den Romeos ein Cover von | |
„Killing Me Softly“ produziert. Wir hatten bei Spotify fünf Millionen Plays | |
und haben 12.000 Euro bekommen. Das haben wir durch zwei geteilt und uns | |
tierisch gefreut. Wenn du allerdings einen Vertrag mit einer großen | |
Plattenfirma hast, kriegst du vielleicht 20 oder 25 Prozent. Jürgen hätte | |
dann 2.400 Euro gekriegt und ich 9.800 Euro. Das liegt an den Verträgen. | |
Klar: Spotify zahlt sich seine Marge aus. Aber früher hat doch auch niemand | |
diskutiert, warum der Plattenladen 35 Prozent bekommt.“ | |
www.fuego.de | |
15 Aug 2022 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |