# taz.de -- Viel Geschiss ums Klären | |
> Unsere Abwasser-Infrastruktur hat viele Probleme gelöst, aber auch neue | |
> geschaffen | |
Mit Trinkwasser spülen wir unsere Klos. Pro Mensch und Tag gelangen etwa | |
zwei Gramm Phosphor in die Kanalisation – vor allem durch Urin. Extrem | |
verdünnt erreicht der lebenswichtige Nährstoff eine Kläranlage, die die | |
Oberflächengewässer vor Verschmutzung schützen soll. | |
Entstanden ist unsere Abwasser-Infrastruktur als Reaktion auf katastrophale | |
hygienische Bedingungen in den rasch wachsenden Städten des 19. | |
Jahrhunderts. Überall lag Kot herum, Parasiten verbreiteten sich rasant und | |
lösten Krankheiten wie Cholera aus. | |
In London wurde das Kanalnetz 1865 in Betrieb genommen, der Inhalt floss | |
nun in die Themse. Berlin folgte 1873. Die Stadt pumpte das Abwasser nach | |
einer groben Vorbehandlung auf Rieselfelder im Umland. | |
Weil ständig Phosphor, Stickstoff und Kalium aus den Fäkalien geliefert | |
wurden, wuchs das Gemüse dort bestens – war allerdings durch Industrie- und | |
Straßenabwasser stark mit Schwermetallen belastet. Nachdem deren Folgen für | |
die menschliche Gesundheit erkannt waren, wurden Kläranlagen zur | |
Schadstofffilterung gebaut. | |
Stickstoff und Phosphor blieben im geklärten Abwasser und gelangten so in | |
großen Mengen in Flüsse. Die Folge: eine massenhafte Vermehrung von Algen, | |
die Wasserlebewesen den Sauerstoff entziehen. Immer wieder wurde das | |
Abwasserrecht deshalb verschärft. | |
So müssen heute die großen Kläranlagen einen Großteil der Nährstoffe | |
herausfiltern, bevor sie das Wasser in einen Fluss oder See einleiten. Das | |
funktioniert so: Kläranlagenbetreiber kippen Metallsalze ins Abwasser, an | |
die sich die Phosphormoleküle andocken und absinken. Eine teure | |
Angelegenheit: Bis zu 10 Euro kostet es, ein Kilo Phosphor zu eliminieren. | |
Anschließend wird der meiste Klärschlamm mit hohem Energieaufwand | |
getrocknet und entweder in eine Müllverbrennungsanlage gebracht oder in der | |
Zementindustrie eingesetzt. In Deutschland gehen so 50.000 Tonnen Phosphor | |
pro Jahr verloren und sind für Lebewesen nicht mehr verfügbar. | |
Auch dieses Problem wurde irgendwann erkannt – und zwei technische Lösungen | |
dafür gefunden: Mit Hilfe großer Mengen Chemikalien kann Phosphor wieder | |
von den Metallsalzen im Klärschlamm getrennt und zurückgewonnen werden. Die | |
Alternative ist, Klärschlämme isoliert zu verbrennen und den Phosphor aus | |
der Asche herauszuholen. Im Vergleich zu importiertem Phosphor aus dem | |
Bergbau sind diese Verfahren allerdings wesentlich teurer. Trotzdem werden | |
sie kommen: Die Klärschlammnovelle schreibt die Rückgewinnung von Phosphor | |
in ein paar Jahren vor. | |
Doch ist es überhaupt sinnvoll, Urin und Kot über weite Strecken mit | |
frischem Wasser zu transportieren, den enthaltenen Phosphor mit aufwendigen | |
Verfahren in den Klärschlamm zu verfrachten und anschließend wieder | |
herauszulösen, wo doch Nährstoffe direkt aus den Exkrementen gewonnen | |
werden könnten? Tüftler und Forscher suchen nach Lösungen – und einem Weg | |
aus dem Nischendasein. | |
30 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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