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# taz.de -- kritisch gesehen: Musik zur Zeitenwende
Aus dem Nichts schweben Synthesizer-Flächen heran. Eine sehnsuchtsvolle
Stimme singt vom „Undertow“, dem Sog des Flusses, den kein Mensch, kein
Land, kein Herr, kein Damm halten kann. Pluckernde Beats mischen sich in
den Strom des Songs, Störgeräusche kräuseln seine Oberfläche, das Schaben
eines Plektrums über die Saiten einer Gitarre, und immer dringender treibt
der Beat an: „So come by the river, be the sea, come, come, come“, bis
erlösende Stromgitarren das Stück ins euphorische Finale treiben: „We are
the undertow“ – Wir sind der Sog!, skandieren Laturb vehement.
Zwischen diesem Aufbruch und dem etwas versteckten Song „24H Part 2“, der
das Debüt-Album „All Work & No Play“ des Bremer Trios mit einem liebevollen
Tritt in den Po abschließt, müssen allerdings noch ein paar schwere Brocken
bewegt werden: Es geht um Verlust, um Altern und Demenz, um fragwürdige
Familienidylle, Gewalterfahrungen, nicht zuletzt um das ewige Strampeln im
Hamsterrad namens Kapitalismus und die dazugehörigen Sinnkrisen. Unterlegt
ist das mit einem immer wieder Richtung 80er-Jahre nickenden Elektro-Sound.
In den braten ab und an beherzt Punk-Gitarren, mal bricht inniger
Gospelgesang aus, mal wird Electroclash-Ikone Peaches, und mal der Piaf
lyrisch Referenz erwiesen. Musikalisch wie lyrisch wirkt das trotzdem
ausgesprochen aufgeräumt und ausgereift, was damit zu tun haben mag, dass
die pandemischen Zeiten viel Gelegenheit zu Arbeit und wenig zum Spielen
boten: „All Work & No Play“ eben.
Dabei hatten sich gewiss auch Laturb alles ganz anders gedacht: Gerade vor
dem großen Lockdown spielte die 2019 gegründete Band im März 2020 ihr
erstes Konzert, danach war Zwangspause. Die nutzte das Bremer Trio, um per
Schwarm sein erstes Studio-Album zu finanzieren, einschließlich eines
üppigen Booklets mit allen Texten und neongrellen bis grobkörnigen Fotos zu
gestalten. In Zusammenarbeit mit dem Bremer Label Fuego ist es nun auch als
CD erhältlich, das Vinyl steht noch in der Warteschleife – Sie wissen
schon, die Lieferketten und all das.
Immerhin: Das „No Play“ ist derweil bekanntlich vorbei, weshalb der Hinweis
angebracht ist, dass Laturb nicht zuletzt auf der Bühne bezirzen können:
Die Mitglieder der Band entstammen allesamt dem Dunstkreis eines
wundersamen Kollektivs, das regelmäßig in der Schaulust im Güterbahnhof ein
anarchistisches Varieté steigen lässt. Aus diesem Künstler*innen-Pool
rekrutieren sich immer wieder Gäste der Laturb-Shows, spielen mit
theatralen Mitteln, mit Akrobatik, mit Jux und Dollerei, was im
Zusammenspiel mit der queeren Ästhetik Laturbs verbindlich-freundliche
Abende zu erzeugen imstande ist. Diese Ebene geht „All Work & No Play“ dann
eben doch ein bisschen ab. Andreas Schnell
Laturb spielen am 22. Juli auf dem 13°-Festival, Pusdorf Studios, Bremen
„All Work & No Play“, Fuego Records 2022, ab 17,10 Euro
19 Jul 2022
## AUTOREN
Andreas Schnell
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