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# taz.de -- zwischen den rillen: Allein zu Haus, aber doppelt
Bild: John Scofield: „John Scofield“ (ECM)
In den ersten Takten der akkordischen Grundierung meint man die
[1][E-Bass-Eminenz Steve Swallow] zu hören, aber es ist das Zuspiel aus
einer Loop-Maschine, auf dem John Scofields neugierige Gitarre gleich ein
paar melodische Skizzen entwirft. Nach knapp drei Minuten gibt sich kurz
die Kontur von Keith Jarretts „Coral“ zu erkennen, schon ist die kleine
Kostbarkeit verklungen. Es folgen weitere Perlen, die der US-Jazzgitarrist
für sein erstes Soloalbum auf die Schnur gezogen hat. In den bald 50 Jahren
seiner umtriebiger Präsenz war für einen Alleingang nie Zeit. Erst im
vergangenen Covid-Sommer hat sich der 70-Jährige diese Splendid Isolation
gegönnt.
John allein zu Haus, doch in seinem Spielzimmer gibt es Scofield sozusagen
doppelt: Für das rhythmische Gerüst sorgen besagte Loop-Fragmente, die er
solistisch mit seiner unvergleichlichen Phrasierung ausgestaltet. Sein
stilistischer Eigensinn steht dabei in voller Blüte und ein fast kindlicher
Spaß am Experiment.
In grauer Vorzeit, als man vom Glauben an Pat Metheny und andere
Gitarrengötter des Jazzrock gerade wieder abfiel, war Scofield auf den Plan
getreten. 1982 war er so gut, dass Miles Davis nicht mehr um ihn herumkam.
Drei Jahre später tat er sich mit weiteren Koryphäen zusammen, etwa mit dem
Zunftbruder Bill Frisell für Marc Johnsons „Bass Desires“, den
Saxofonisten Joe Henderson und Joe Lovano, in schöner Regelmäßigkeit auch
mit Steve Swallow.
Selbstverständlich klingt er auch auf seinem Soloalbum wie kein Gitarrist
vor ihm. Er demonstriert, wie ein aufgeklärtes Jazz-Vokabular mühelos
Einsprengsel von Blues über Rock bis Country absorbieren kann. Nur zu gerne
setzt er sich über die vorgegebene Tonart eines Songs hinweg, um ins Risiko
der freien Improvisation zu gehen. Scofields Handschrift strahlt, kein
Wunder mit gut 70 Jahren, echte musikalische Würde ab, lässt jedoch auch
Ironie und mal eine Dosis Übermut nicht vermissen. Zum Beispiel in „There
will never be another you“, das er vor einem halben Jahrhundert als
Jungspund hinter Chet Baker und Gerry Mulligan gespielt hatte. Hier nun
bringt er den ehrwürdigen Standard, ganz ungezogener Junge, mit einem
simulierten Bauchklatscher zur Strecke.
Auch das alte Schlachtross „It could happen to you“ interpretiert er mit
kühlem Sound und unangestrengter Beiläufigkeit absolut gegenwärtig. Eine
Hälfte des Repertoires bilden Stücke aus Scofields eigener Werkstatt,
darunter die meisterhafte Ballade „Since you asked“. Es ist rein technisch
gesehen zwar oft vertrackt, was er auf seinem Instrument anstellt, aber
Scofield ist kein Umstandskrämer, sondern zaubert seine Ideen mit viel
Groove aus dem Ärmel. Das geht, vor allem live, gut und gern unter die
Gürtellinie. Man hat auf Scofield-Konzerten schon Jazzverächter aus dem
Häuschen geraten sehen.
Ein Glanzpunkt ist eine Version des Buddy-Holly-Songs „Not fade away“:
Scofield inszeniert ihn als Rock-’n’-Roll-Abzählreim, der einfach kein Ende
finden will und zuletzt in einem psychedelischen Elektronebel verglüht. Mit
John Scofield wird es einfach nie langweilig. Andreas Schäfler
29 Jul 2022
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## AUTOREN
Andreas Schäfler
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