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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Ehmi Bleßmann: Bewegung und Bitterkeit …
Am Samstagmorgen passiert das, wonach sich die Hauptstadt tagelang sehnte:
Die Hitzewelle erweist sich so gnädig, uns kurzzeitig eine Abkühlung auf
läppische 23 Grad zu genehmigen.
Während ich mir einen bitteren Kaffee in den Körper kippe, manövrieren mich
meine Finger durch Nachrichten-Apps: Klimakrise, Kriege, Inflation. Während
ich mir damit noch vor dem Frühstück die Wochenendstimmung vom
Weltgeschehen zerkratzen lasse, trudeln Whatsapp-Nachrichten von
Freund*innen ein: Heute ist CSD, gehen wir dahin?
Der Christopher Street Day fand 1969 in New York seine Anfänge, als ein
paar Hundert Schwule, Lesben, Interpersonen und Verbündete auf die Straße
gingen, nachdem eine Schwulenbar gewaltsam von der Polizei gestürmt wurde.
Im Zeichen dieses geschichtsträchtigen Protests werden in Berlin heute
H[1][underttausende Menschen] erwartet. Sie werden sich hier zum 44. Mal
mit einem kilometerlangen Straßenzug durch die Innenstadt bewegen, zu einer
wilden Musikauswahl tanzend, bunt angezogen, laut jubelnd, ausgelassen am
Feiern. Der CSD ist mittlerweile eine vom Senat unterstützte, von der
Polizei überwachte riesengroße Party. Es wird heute also doch heiß in
Berlins Straßen. Aber ohne mich.
Inwiefern [2][Protest und Party] guten Gewissens Hand in Hand gehen können,
darüber kann und soll freundlich gestritten werden, denke ich mir.
Menschengelage und Feierstimmung sind allenfalls ein gutes Paar, durch die
coronabedingte lange Pause großer Events wohl enger denn je verbandelt.
Doch kann eine Parade, die wie kein anderes Jahresereignis für den Kampf
für geschlechts- und sexualitätsunabhängige Gerechtigkeit steht,
tatsächlich die nachhaltige Durchsetzung ihrer politischen Forderungen
stärken, indem sie sich kommerzialisiert? Die Banken, Internetgiganten,
Autoindustrien und Großkonzerne, die dem CSD als Sponsoren herhalten,
repräsentieren doch genau jene Machtstrukturen, denen wir neben
ökonomischer Ungleichverteilung eine unwürdige Hierarchisierung sozialer
Gruppen und Diskriminierung zu verdanken haben.
Auf Twitter werden mir Fotos von regenbogenfarbenen Bannern mit dem
Jahresmotto „United in Love“ in die Timeline gespült. Wer genau hat sich
denn mit wem vereint? Von feierlich geschmückten Paradewägen aus blicken
Vertreter*innen großer Firmen auf die Menschen auf der Straße hinab.
Mir kommt das zynisch vor, wurde sich doch den ganzen Pride Month über zu
Recht um Kritik an Pink Washing als ungeheuerliche Vereinnahmung einer
unbedingt notwendigen sozialen Bewegung bemüht.
Es ist leider kein einfacher Systemfehler, dass Nichtheteros, Frauen,
Inter- und trans Personen, marginalisierte Gruppen aller Art, sich ihre
Sicherheit härter als andere erringen müssen und dass sie von den multiplen
Krisen unserer Zeit härter in Mitleidenschaft gezogen werden. Sondern
bringt die Logik der Machtkonzentration, wie sie in der ökonomischen und
sozialen Realität stattfindet, die Unterdrückung Marginalisierter und
materiell schlecht aufgestellter Personen zwangsläufig mit sich.
Beim CSD sind so viele Vereine, Initiativen und Personen vertreten, die
tagtäglich genau dieser Ungleichbehandlung ins Auge blicken, oftmals davon
betroffen und fest entschlossen sind, diesen internationalen Missstand zu
beheben. Ihr Engagement wird heute zelebriert, doch darüber liegt eben die
düstere Wolke einer strukturell angelegten Vermarktung.
Mich frustriert das so sehr, dass ich mein Handy ausschalte, nicht
rausgehe, nichts tue. Ob das wirklich besser ist, als einen Tag in
fröhlicher Gemeinschaft zu verbringen? Na ja.
26 Jul 2022
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## AUTOREN
Ehmi Bleßmann
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