# taz.de -- Organische Mechanik | |
> Über 50 Jahre lang baute der Bildhauer Günter Haese sensibel reagierende | |
> poetische Gebilde aus Draht. In Hamburg ist derzeit eine Auswahl zu sehen | |
Bild: Sein Lebensthema hat Haese schon Anfang der 1960er gefunden: „Minotauru… | |
Von Hajo Schiff | |
Als ob der Ausstellungsaufbau noch nicht fertig wäre: Das Erste, was im | |
Hamburger Ernst-Barlach-Haus zu sehen ist, wenn die Tür zum Jenisch-Park | |
ins Schloss fällt, ist ein Haufen Holzkisten, wie unabsichtlich zu einer | |
Skulptur arrangiert. Dieser Backstage-Einblick ist aber Absicht, denn der | |
1924 in Kiel geborene Bildhauer Günter Haese hat ziemlich kunstvoll für | |
jede seiner fragilen Arbeiten gleich nach Fertigstellung eine eigene | |
hölzerne „Wohnung“ angefertigt – die sind also fast schon Teil des Werks. | |
Am Anfang der künstlerischen Laufbahn Haeses und in der ersten Vitrine der | |
eigentlichen Ausstellung stehen kleine, aber massig wirkende, | |
formreduzierte Tierplastiken in der Art seines Lehrers Ewald Mataré, bei | |
dem er von 1951 bis 1956 an der Düsseldorfer Akademie studierte und mit dem | |
er dann auch zusammenarbeitete. Mataré war übrigens zeitgleich auch der | |
Lehrer des drei Jahre älteren Joseph Beuys. | |
Die Ausstellung zeigt etwa 40 Arbeiten Haeses, darunter einen im Gesamtwerk | |
einzigartigen, aus Eisen geschmiedeten, großen bösen Vogel, geschwärzt und | |
äußerst aggressiv, ein Objekt aus den Fünfziger Jahren wie eine Abrechnung | |
mit Kriegserinnerungen und allem Gefälligen in der Kunst. Zu sehen sind | |
auch einige frühe Monotypien von 1959, als der junge Künstler Uhrenteile | |
und Feinmechanikelemente noch nicht aufs Feinste verbaute, sondern | |
collagierte und davon Abdrücke nahm. | |
Dabei hat er dann sein Thema gefunden: Seit 1962 bis zu seinem Tode 2016 | |
baut Haese aus Draht von Messing und der stabileren Phosphorbronze in | |
Gitter- und Kugelformen, mit Spiralfedern und Zahnrädchen, sehr | |
handwerklich, wie ein Ingenieur im Goldschmiede-Format, seine sensibel | |
reagierenden, goldschimmernden und poetisch ausstrahlenden Gebilde. | |
Dabei lief die Karriere Haeses sehr anders als bei den meisten Künstlern | |
und Künstlerinnen sonst: Seine Arbeiten machten sofort einen so | |
außergewöhnlichen Eindruck, dass ihm schon 1964 eine Einzelausstellung im | |
Museum für Moderne Kunst in New York (MoMa) ausgerichtet wurde. Bei seiner | |
ersten Ausstellung im Ulmer Museum stellte der brasilianische konkrete | |
Maler Almir Mavignier, später Professor in Hamburg, den Kontakt zum MoMa | |
her. Und so stand es überraschenderweise nicht am Ende, sondern am Anfang | |
einer Karriere: Es war Haeses erst zweite Einzelausstellung in einem Museum | |
überhaupt. | |
Im gleichen Jahr wurde seine filigranen „Raumzeichnungen“ auch auf der | |
Documenta III gezeigt. Sie wurden in der Abteilung „Licht und Bewegung“ den | |
Kinetikern der Gruppe „Zero“ zugeordnet. Doch damit haben sie nur wenig zu | |
tun: Den Objekten wird keine externe Energie zugeführt, ihre Bewegung ist | |
höchstens ein feines Vibrieren der leicht montierten, durch Federn und | |
feine Gelenke verbundenen Teile. Und Gruppierungen waren Haese, der | |
durchaus etwas Eigenbrötlerisches hatte, ohnehin ganz fremd: „Alles | |
außerhalb meines Studios ist eigentlich unwichtig“, sagt der Künstler im | |
ausstellungsbegleitenden Film. | |
Seine in geduldiger, teils monatelanger Arbeit erstellten filigranen | |
Gebilde werden gelegentlich als „Paul Klee in 3D“ charakterisiert. Sie | |
entstehen allerdings ganz und gar aus dem Machen, es gibt keine | |
Vorzeichnungen oder Planskizzen. Sie sollen aber nicht nach Arbeit | |
aussehen, sondern wie organisch gewachsen – und das sind sie in dem | |
langsamen additiven Bauprozess in gewisser Weise auch. | |
Das geheimnisvoll Gewordene, nicht Gemachte unterstreicht Haese mit den | |
meist mythischen Namen seiner Werke. Sie sind keine Abstraktionen von etwas | |
in der Welt, keine Modelle von Natur oder Architektur, sondern etwas ganz | |
Neues, Eigenes. Und doch bieten sie wie edle Wunderkammerstücke zahlreiche | |
Assoziationen: Etwa fremdartige Maschinen oder aus reichen Fürstengräbern | |
geborgene archäologische Schätze unklarer Bestimmung. Und im Wissen darum, | |
dass Haese im Krieg Funker war, fällt manchmal eine Ähnlichkeit mit | |
Satellitenschüsseln und Radarantennen auf. Zumindest im übertragenen Sinne | |
bündeln sie Energie auf poetische Weise. | |
Alle Sonderausstellungen im Ernst-Barlach-Haus fordern immer auch zum | |
Vergleich mit den Arbeiten des namensgebenden „Hausherrn“. Bei Barlach ist | |
die Bewegungsspannung in der geschlossenen Form eingefangen und | |
ausgedrückt. Bei Haese vibriert die Energie selbst bei kantig fester | |
umrissenen Figuren zwischen Außenform und Binnenstruktur nicht nur aufgrund | |
der Durchlässigkeit des Materials, oft auch ganz real durch feine | |
Bewegungen der in labilem Gleichgewicht montierten Teile. | |
„Schwerelos. Günter Haese. Raumplastiken aus Draht“: bis 16. 10., Hamburg, | |
Ernst Barlach Haus Jenischpark | |
19 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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