# taz.de -- Umgang mit sexualisierter Gewalt: Täter outen, Betroffenen glauben | |
> Ein linker Aktivist soll heimlich aufgenommene Nacktfotos einer Frau | |
> geteilt haben. Seine Genoss_innen outen ihn. Zu Recht? | |
Bild: Wie können potentielle Opfer sexueller Gewalt geschützt werden? | |
Sexualisierte Gewalt ist ein Tabuthema. Auch wenn es den Anschein macht, | |
dass seit Jahren viel darüber diskutiert wird, dauert es bei Bekanntmachung | |
ganz konkreter Fälle oft nicht lange, bis sich ein regelrechter Mob bildet, | |
der [1][Betroffenen grundsätzlich misstraut] und Täter in Schutz nimmt. | |
Das ist der gesellschaftliche Aspekt des Tabus. Hinzu kommt der | |
juristische: Wer nicht vor Gericht bewiesen hat, dass sich die Tat so wie | |
geschildert ereignet hat (auch wenn es nahezu unmöglich nachzuweisen ist), | |
darf nicht öffentlich darüber sprechen. Wenn doch, flattert schon mal eine | |
Abmahnung ins Haus, mit der Aufforderung eine Unterlassungserklärung | |
abzugeben. So geschehen diese Woche bei der Medienstrategin und linken | |
Aktivistin Emily Laquer. | |
Auf ihrem Twitter-Account hatte Laquer am Montagabend einen Thread | |
verfasst, der im Wortlaut ein Statement des Bündnisses Interventionistische | |
Linke (IL) wiedergibt. Bei dem Text handelt es sich um ein sogenanntes | |
Täterouting, wobei das Wort „Täter“ an keiner Stelle vorkommt. Es wird von | |
einem inzwischen aus sämtlichen Strukturen der IL ausgeschlossenen Mann | |
gesprochen, der nach einvernehmlichem Sex mit der Betroffenen Nacktfotos | |
von ihr in der Chatgruppe eines Männernetzwerks herumgeschickt haben soll. | |
Von der Existenz dieser Fotos will die Betroffene nichts gewusst haben, sie | |
seien ohne ihr Einverständnis gemacht und weiterverbreit worden. In | |
derselben Chatgruppe sollen wohl Listen über Frauen geführt worden sein, | |
mit persönlichen Daten, Vorlieben und Tipps wie diese Frauen am besten | |
angesprochen und aufgerissen werden können. | |
## Wenn Vorwürfe noch nicht veröffentlicht sind | |
Der Beschuldigte wurde in dem Post mit Vornamen genannt, außerdem wurde ein | |
Foto von ihm veröffentlicht sowie die Stadt genannt, in der er aktiv war. | |
Inzwischen ist das IL-Statement offline. Auch Emily Laquer musste ihren | |
Thread löschen, da sie eine Unterlassungserklärung unterschrieben hat, wie | |
sie auf Anfrage mitteilt. Über den konkreten Fall darf sie nicht mehr | |
sprechen. Doch sie antwortet mit ihren politischen Grundsätzen: | |
„Betroffenen glauben, Täter rausschmeißen, die Gegenwehr des Täterumfelds | |
zurückdrängen.“ | |
Auf Social Media wurde derweil heftig diskutiert: Ist es fair, Name und | |
Foto eines Beschuldigten zu veröffentlichen, ohne vor Gericht zu klären, ob | |
die Vorwürfe stimmen? Warum wird eine Unterlassungserklärung abgegeben, | |
wenn in der IL doch laut Statement keine Zweifel daran bestehen, dass die | |
im Chat geteilten Fotos und Infos eindeutig dem Beschuldigten zugeordnet | |
werden können? | |
Nun kann es viele Gründe geben, warum Betroffene nicht vor Gericht gehen. | |
Zum einen ist sexualisierte Gewalt oft nur bedingt nachweisbar und die | |
juristischen Erfolgschancen entsprechend gering. Zum anderen dauert ein | |
Prozess oft Jahre, und die Gegenseite zielt darauf ab, die Betroffene zu | |
diskreditieren, was sie nur weiter [2][in die Ohnmacht drängt]. | |
Ihr aus der Ohnmacht herauszuhelfen, das scheint wiederum der Anspruch der | |
IL zu sein, die einen sehr ausführlichen [3][Leitfaden] erarbeitet hat zum | |
Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb der eigenen Reihen (den sich | |
übrigens auch ruhig andere linke Räume und Parteien zu Gemüte führen | |
sollten). Es gibt sehr genau organisierte Strukturen und Gruppen, die in | |
solchen Fällen handeln, an oberster Stelle stehen dabei die Bedürfnisse der | |
Betroffenen. | |
Es ist davon auszugehen, dass im aktuellen IL-Fall die Betroffene kein | |
Vertrauen in einen juristischen Weg hat und ihr Wunsch sich lediglich auf | |
den Schutz weiterer potenziell Betroffener beschränkt. Denn das inzwischen | |
gelöschte Outing zeugt an keiner Stelle von Rache oder Strafe, sondern von | |
dem Anliegen, andere, die unwissentlich aufgezeichnet worden sein könnten, | |
zu schützen und warnen. Doch diese Warnung ist leider nicht mehr möglich. | |
Transparenzhinweis: Wir haben den Vorspann des Textes und eine Formulierung | |
im Text verändert. Die Redaktion | |
16 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Journalistinnen-ueber-MeToo-Recherchen/!5821017 | |
[2] /Sexualisierte-Gewalt-anzeigen/!5813725 | |
[3] https://interventionistische-linke.org/sites/default/files/attachements/il-… | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
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