# taz.de -- Den Wimpernschlag hörbar machen | |
> Beim Festival Heroines of Sound im Radialsystem überzeugen die | |
> performativen Aufführungen. Nur die Rahmung ist unzulänglich | |
Von Franziska Buhre | |
Ein sanftes Klirren von einem Mobile mit Glühlampen – es erhält eine | |
metallische Nuance von einem mit Schlüsseln, eine nach Weite klingend von | |
einem Muschelwindspiel. In Schwingung versetzt wurden die Mobiles nicht | |
durch eine Hand, sondern durch die Bewegung des Performers auf und entlang | |
anderer Objekte und Instrumente. Das geschah am Donnerstagabend, als der | |
Perkussionist und Performer Alexander Wnuk inmitten eines Metallgerüsts im | |
Radialsystem stand, an dem waagerecht eine Tür hängt, ein Spiegel, Glocken | |
und Röhren, ein Fenster ohne Glas und ein Gong, eine Metallplatte und die | |
Mobiles. | |
Er hämmert mit den Fäusten, abgewandt vom Publikum gegen die Tür, streicht | |
mit ausgestreckten Armen seitlich hinter sich, vor sich mit den Fingern | |
hinweg über Oberflächen, zittert mit Tassen in den Händen, schlägt kurz | |
Glocken an und kratzt auf dem Spiegel, entlockt den Klangschalen, Flaschen | |
und Becken Klänge, deren Frequenzen unvorherhörbare akustische Bündnisse | |
eingehen. | |
Was für ein Klang mit einem Stein in der Hand auf den Armen der Menora und | |
schließlich das sichtbare Rascheln – es ist welkes Laub, das Wnuk nun mit | |
erhobenen Armen aus einer Kiste schüttelt, ein aufwühlender und zugleich | |
tröstlicher Moment. Die Komponistin Sarah Nemtsov hat ihm das Solo auf den | |
Leib geschrieben und während der Corona-Lockdowns für ihn ausgearbeitet. In | |
seiner unbedingten Verkörperung ist er Mittler der unsagbaren Facetten von | |
Einsamkeit, des Widerstreits zwischen Rückzug und Ausbruch, Resignation und | |
Unrast und all die Resonanzen, die er erzeugt, hallen in sprachlosen | |
Gemütern der Anwesenden nach. Zweifellos erblüht die Aufführung am besten | |
außerhalb von Konzertsälen, wo ein Publikum die Körperlichkeit des | |
Performers zu schätzen weiß. | |
Ähnlich bei den Composer-Performerinnen Yiran Zhao und Kirstine Lindemann | |
am zweiten Abend des Progamms [1][von Heroines of Sound]: Sie stehen dicht | |
nebeneinander, die Videoprojektion vervielfacht ihre Körper zu zwei Reihen | |
nach hinten auf der Leinwand. Beide halten ein Vergrößerungsglas vor eines | |
ihrer Augen. Zuerst kreisen sie am Platz, dann kippen ihre Oberkörper | |
versetzt nach vorne, und so fallen ihre Abbilder auch nacheinander wie | |
Spielkarten. Mittels Kontaktmikrofonen machen sie schwere, stimmhafte | |
Atemzüge, Reibung an der Körperoberfläche, den Wimpernschlag, ein Zittern | |
und Hyperventilation, die den ganzen Körper erfasst, hörbar. | |
Schließlich pendeln sich beide in der langsamen Rotation wieder ein, ohne | |
Lupe und Sound, denn Timing, Anschauung und Laut-Erzeugung sind schlicht | |
eingelöst. Ein kurzes Vergnügen, das Assoziationen weckt an die | |
experimentellen Filme mit Licht und Objekten von Man Ray oder László | |
Moholy-Nagy. | |
Zwei Aufführungen, die im Gedächtnis bleiben, was die Rahmung von Heroines | |
of Sound allerdings erschwert, denn es fehlt alles, was ein Festival | |
ansprechend macht: ein in sich schlüssig kuratiertes Programm, das einen | |
nicht erschlägt, sondern Zeit gibt für Reflexion der einzelnen Werke und | |
Aufführungen. | |
Rücksicht gibt es auch keine, wenn man mitten im Programm unangekündigt die | |
Selbstverletzung einer nackten Frau ohne Kopf ansehen muss, die im Video am | |
Strand von Tel Aviv statt eines Reifens Stacheldraht um ihren Körper | |
schwingt. Gastlichkeit ist auch keine vorhanden, weder mit Anmoderationen | |
der Konzerte noch einladenden Social-Media-Posts oder gar einem Angebot | |
warmer Getränke vor Ort, die Luft im Radialsystem ist zudem stickig. | |
Ein Eindruck drängt sich auf und bleibt bestehen: Hier werden keine | |
Künstler_innen zelebriert, sondern nur Programmpunkte durchgepeitscht. | |
Ehrlicher wäre, diese fehlgeleitete Leistungsschau als Messeveranstaltung, | |
nicht als Festival zu bezeichnen. | |
11 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Buhre | |
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