| # taz.de -- abtreibungsurteil in den usa: Per Urteil fünf Jahrzehnte zurück | |
| > Der Oberste Gerichtshof der USA kippt das Grundsatzurteil von 1973, das | |
| > Frauen ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch garantierte | |
| Bild: Sofort nach Verkündung des Urteils versammelten sich am Freitag Protesti… | |
| Aus New York Eva Oer | |
| Nur wenige Minuten nach 10 Uhr am Freitagmorgen war das Schicksal vieler | |
| Abtreibungskliniken in den USA besiegelt. Der Supreme Court hatte gerade | |
| das geltende Abtreibungsrecht gekippt und es so den Bundesstaaten in die | |
| Hände gelegt, die Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche zu verschärfen | |
| oder diese gar zu verbieten. Während in der Hauptstadt Washington und | |
| anderen Städten traurige und aufgebrachte Protestierende auf feiernde | |
| Abtreibungsgegner*innen trafen, mussten schon an diesem Tag erste | |
| Anbieter*innen etwa in den Staaten Kentucky, Louisiana und South Dakota | |
| ihre Türen für ungewollt Schwangere schließen. | |
| Fast 50 Jahre lang hatten US-Amerikaner*innen das Recht auf einen | |
| Schwangerschaftsabbruch bis in etwa zur 24 Woche gehabt – bis der Fötus | |
| außerhalb des Körpers lebensfähig ist. Dafür hatten das Grundsatzurteil | |
| „Roe v. Wade“ von 1973 sowie ein bestätigendes Urteil von 1992 gesorgt. | |
| Das ist nun vorbei: „Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“, | |
| heißt es im am Freitag veröffentlichten Urteilstext. Die vorherigen Urteile | |
| würden aufgehoben und „die Befugnis zur Regelung des | |
| Schwangerschaftsabbruchs wird an das Volk und seine gewählten | |
| Vertreter*innen zurückgegeben“. Abtreibungen sind also nicht überall | |
| illegal – liberalere Staaten wie Kalifornien, Oregon, Washington, | |
| Massachusetts, New Jersey und New York wollen es bei den geltenden Regeln | |
| belassen und eine Art „sicheren Hafen“ für Abtreibungsflüchtlinge aus | |
| anderen Regionen bieten, wie New Yorks Gouverneurin Kathy Hochul immer | |
| wieder betont. | |
| Dem gegenüber stehen allerdings etliche konservative Bundesstaaten, die nur | |
| darauf gewartet haben, dass die Abtreibungsfreiheit fällt. Generell werden | |
| Verschärfungen oder gar komplette Verbote in etwa der Hälfte der Staaten | |
| erwartet. Viele hatten schon mit sogenannten „trigger laws“ vorgearbeitet, | |
| zu Deutsch etwa „Auslösergesetze“. 13 Staaten haben derartige Gesetze, die | |
| sofort oder zumindest schnell mithilfe einer Bestätigung von Gouverneur | |
| oder Generalstaatsanwalt durch den Fall von „Roe v. Wade“ ausgelöst werden. | |
| Mancherorts bestehen auch noch alte Regelungen aus der Zeit vor 1973, die | |
| nun wieder gelten. | |
| Schwangerschaftsabbrüche sind dementsprechend jetzt bereits in Alabama, | |
| Arkansas, Kentucky, Louisiana, Missouri, Oklahoma, Utah und South Dakota | |
| verboten – in den meisten dieser Fälle sind Ausnahmen für Vergewaltigungen | |
| oder Inzest nicht vorgesehen, sondern in der Regel nur in medizinischen | |
| Notfällen oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. | |
| Abtreibungsanbieter*innen treffen sonst meist schwere Strafen. | |
| Die Entscheidung des Supreme Court kam nicht unerwartet. Anfang Mai hatte | |
| das Nachrichtenportal Politico einen entsprechenden, geleakten | |
| Urteilsentwurf veröffentlicht. Der Supreme Court hat seit der Amtszeit des | |
| Ex-Präsidenten Donald Trump eine Mehrheit von sechs konservativen zu drei | |
| liberalen Richter*innen. Der 76-Jährige hatte als Präsident allein drei | |
| ernennen können, ihr Amt haben sie auf Lebenszeit inne. „Gott hat das | |
| entschieden“, erklärte Trump beim Sender Fox News auf die Frage, ob er | |
| damit den Grundstein für die jetzige Entscheidung gelegt habe. | |
| So groß die Freude bei den Abtreibungsgegner*innen ist, so empört | |
| zeigten sich am Wochenende die Befürworter*innen einer freien | |
| Entscheidung. Präsident Joe Biden nannte das Urteil einen tragischen Fehler | |
| und sagte am Freitag: „Der Gerichtshof hat etwas getan, was er noch nie | |
| zuvor getan hat.“ Der Supreme Court habe ein verfassungsmäßiges Recht | |
| aufgehoben, das „für so viele Amerikaner*innen von grundlegender | |
| Bedeutung ist“. Am Samstag legte er bei einem Auftritt mit seiner Frau Jill | |
| im Weißen Haus nach: „Jill und ich wissen, wie schmerzhaft und verheerend | |
| diese Entscheidung für so viele Amerikaner*innen ist.“ | |
| Tausende wütende Protestierende hatte es schon direkt nach der Entscheidung | |
| auf die Straßen in Washington, New York, San Francisco und Dutzenden | |
| anderen Städten getrieben. Zwischen Union Square und Washington Square in | |
| New York demonstrierten etliche mit Schildern, auf denen etwa zu lesen war | |
| „Mein Vergewaltiger hat mehr Rechte als ich“ oder „Abtreibung ist | |
| Gesundheitsversorgung“. | |
| Derweil waren Abtreibungskliniken in den Staaten mit „trigger laws“ nach | |
| Medienberichten schon damit beschäftigt, Termine abzusagen und | |
| Patient*innen mit Informationen darüber zu versorgen, wo sie | |
| stattdessen einen Termin bekommen können. Manche wollen juristisch gegen | |
| einen Abtreibungsbann vorgehen: „Die ACLU von Kentucky und ihre Partner | |
| sind bereit, vor einem Landesgericht zu klagen und zu argumentieren, dass | |
| die Verfassung von Kentucky das Recht auf Zugang zur Abtreibung zulässt“, | |
| [1][erklärte die Bürgerrechtsorganisation ACLU in Kentucky] in einem | |
| Statement. Sie vertritt eine der beiden Abtreibungskliniken im Staat, das | |
| EMW Women’s Surgical Center. | |
| Expert*innen von der University of California hatten ausgerechnet, dass | |
| die Abschaffung der Abtreibungsfreiheit dazu führen könnte, dass insgesamt | |
| ein Viertel der US-amerikanischen Abtreibungskliniken schließt. Das wären | |
| 202 Einrichtungen. | |
| Dies schränke den Zugang für Schwangere vor allem im Süden und im Mittleren | |
| Westen ein, wo die meisten Schließungen zu erwarten seien, [2][schreiben | |
| die Forscher*innen]. „Da die Mehrheit der | |
| Abtreibungspatient*innen nur ein geringes Einkommen hat, deuten | |
| Trends darauf hin, dass der wirtschaftliche und logistische Druck auf | |
| Menschen, die eine Abtreibung wünschen, nur noch intensiver wird, wenn die | |
| Unterschiede zwischen Staaten mit eingeschränktem und geschütztem Zugang in | |
| den USA größer werden.“ Viele Menschen müssen nun noch länger fahren, um | |
| eine Abtreibung vornehmen zu lassen – die Reisekosten fressen Zeit und | |
| Geld, das viele nicht haben. | |
| Vielerorts rufen Aktivist*innen dazu auf, Organisationen zu | |
| unterstützen, die ungewollt Schwangeren helfen, die Kosten einer Abtreibung | |
| zu bewältigen. Schon zuvor hatten diese Abtreibungsfonds Frauen unterstützt | |
| und ihnen etwa den Eingriff selbst, aber auch Anreise und Übernachtung zur | |
| Abtreibungsklinik gezahlt. Die Fonds werden nun noch wichtiger – und | |
| brauchen umso mehr Geld. | |
| Weniger ernsthaft, aber klickzahlenstark: In sozialen Medien trenden | |
| Aufrufe zum weiblichen #sexstrike. | |
| 27 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.aclu-ky.org/en/press-releases/scotus-overturns-roe-v-wade-aclu-… | |
| [2] https://www.dropbox.com/s/30ziy4nl1o0wclf/ANSIRH_trends-in-abortion-care-re… | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Oer | |
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