# taz.de -- Eine sehr deutliche Zäsur | |
> Der Armutsforscher Christoph Butterwegge fragt nach den Folgen der | |
> Coronapandemie | |
Von Micha Brumlik | |
Epidemien sind auf den ersten Blick die gesundheitsschädlichen Auswirkungen | |
außergesellschaftlicher Ursachen wie Viren, Bakterien oder anderer | |
Mikroorganismen. Sie erweisen sich aber innerhalb kürzester Zeit als | |
Faktoren, die auch und sogar die innergesellschaftlichen Strukturen massiv | |
beeinflussen und sogar verändern können. Nicht zuletzt mit Blick auf die | |
Lebenslagen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Das ist in unserem | |
Kulturkreis seit den biblischen zehn Plagen bekannt oder seit der | |
mittelalterlichen Pest, der spanischen Grippe, Aids und last but not least | |
der global wütenden Coronaepidemie. | |
Der Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge hat nun ein ebenso | |
kompaktes wie bestens lesbares Resümee aller Forschungen publiziert, die in | |
Deutschland und international zu den Auswirkungen der Epidemie erhoben | |
wurden. Dabei geht es ihm vor allem um den Nachweis, dass und wie die | |
Pandemie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen getroffen und somit die in | |
der Bundesrepublik Deutschland ohnehin starke soziale Ungleichheit massiv | |
verstärkt hat. Tatsächlich nämlich hat sich die allgemeine Lebenslage des | |
wohlhabenderen Teils der bundesdeutschen Bevölkerung nur geringfügig | |
verschlechtert, während Butterwegges Überblickstudie präzise nachweist, | |
dass und wie Schließungen und Geschäftsaufgaben vor allem das ärmere | |
Drittel der Bevölkerung, deren Randgruppen und nicht zuletzt Frauen sowie | |
Kinder und Jugendliche getroffen haben; wobei er die wichtige Frage stellt, | |
ob sich tatsächlich sinnvoll von einer „Generation Corona“ sprechen lässt. | |
So stellt sich nicht nur heraus, dass ärmere SeniorInnen eine besonders | |
gefährdete und schlecht geschützte Bevölkerungsgruppe darstellen, dass man | |
im Blick auf Frauen und deren pflegende und helfende Leistungen von einem | |
„erschöpften Geschlecht“ sprechen muss und dass womöglich eine „Generat… | |
Corona“ als eine Generation massiv ungleich gestellter Jugendlicher und | |
junger Erwachsener in unser aller Erinnerung bleiben wird. Aber da war | |
nicht nur die verschärfte soziale Ungleichheit, sondern auch der Umstand, | |
dass so gut wie alle Kinder und Jugendlichen ihrer gewohnten | |
Alltagsstruktur verlustig gingen, weil, so Butterwegge, die Jugendlichen | |
„in aller Regel kontakt-, kommunikations- und reisefreudiger sowie | |
erlebnishungriger sind als Erwachsene“. | |
Die vielen Lockdowns trafen indes nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern | |
auch jene Studierenden, die nicht mit der Unterstützung wohlhabender | |
Familien rechnen durften, sondern auf Nebenjobs angewiesen waren, die | |
aufgrund zahlreicher Schließungen einfach entfielen, was in nicht wenigen | |
Fällen zu Studienabbrüchen führte. Daher kommt Butterwegge zu einer | |
eindeutigen Schlussfolgerung, die durch die von ihm referierten Studien | |
gedeckt sind: „Man kann von einer ‚Generation Corona‘ sprechen, weil das | |
Virus ihr Aufwachsen erheblich beeinträchtigt und die Pandemie als | |
biografische Zäsur gewirkt, sie mehr als Erwachsene vorübergehend aus der | |
Bahn geworfen und sich ihnen der Kontaktmangel als kollektive | |
Schlüsselerfahrung möglicherweise ins Gedächtnis gebrannt hat.“ | |
In den letzten Kapiteln seines Buchs zieht Butterwegge „Lehren aus der | |
Pandemie“: Er untersucht eine ganze Reihe sozialstaatlicher Vorschläge und | |
plädiert schließlich für einen, wie er es nennt, „inklusiven Sozialstaat“ | |
und damit für ein gerechtes Steuersystem, nicht ohne zu versäumen – wie | |
bereits in anderen Publikationen – gegen die Idee eines „bedingungslosen | |
Grundeinkommens“ zu polemisieren. | |
Es liegt derzeit kein anderes Werk vor, dass so viele Studien zu den | |
sozialen Auswirkungen von Corona sachkundig wiedergibt und so einfühlsam | |
auf die Lage der jüngeren Generationen eingeht. Ob es vor diesem | |
Hintergrund wirklich nötig ist, sich noch einmal in extenso mit dem | |
Gedanken eines garantierten Grundeinkommens auseinanderzusetzen, darf | |
freilich bezweifelt werden. | |
25 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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