# taz.de -- Die anderen Soldaten | |
> Die Wehrmacht wollte sie erst nicht haben und hat sie dann als | |
> Kanonenfutter benutzt. Ein Buch zeigt: Viele der „Strafdivision 999“ | |
> waren Widerständler | |
Bild: Wehrmachtssoldaten auf Kreta 1944. In Griechenland konnten 600 Zwangssol… | |
Von Otto Langels | |
Wer nach dem Wehrgesetz von 1935 als gewöhnlicher Krimineller im Zuchthaus | |
gesessen hatte oder wer wegen Schwarzschlachtens, des Hörens von | |
Feindsendern oder sogenannter Rassenschande verurteilt worden war, galt als | |
„wehrunwürdig“. Dazu zählten außerdem politische Widerstandskämpfer, vor | |
allem Sozialdemokraten und Kommunisten. | |
Ein amtlicher blauer Schein bestätigte ihnen, dass sie nicht in der | |
Wehrmacht dienen mussten. Dies änderte sich im Verlauf des Zweiten | |
Weltkriegs, nachdem Hitler einen Weltkrieg entfesselt hatte, die deutschen | |
Armeen an mehreren Fronten kämpften und schwere Verluste beklagten. | |
1942 wurden die Männer, die das Militär bis dahin verachtet hatte, in eine | |
eilig aus dem Boden gestampfte Einheit gesteckt: die „Strafdivision 999“ | |
mit insgesamt 28.000 Zwangssoldaten, davon ein Drittel Nazi-Gegner. Die | |
Wehrmacht setzte sich über Bedenken der Gestapo hinweg, die 999er seien | |
unzuverlässig und könnten den regulären Truppen in den Rücken fallen. | |
Als Kanonenfutter waren die Zwangssoldaten willkommen. Mit den Worten Adolf | |
Hitlers im September 1942: „Wir werden dafür sorgen, dass nicht nur der | |
Anständige an der Front stirbt, sondern dass der Verbrecher oder | |
Unanständige zuhause unter keinen Umständen diese Zeit überleben wird.“ | |
In seiner lesenswerten Darstellung „Soldaten im Widerstand“ schildert der | |
Historiker Joachim Käppner, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, die wenig | |
bekannte Geschichte der Strafdivision 999, anschaulich erzählt anhand | |
ausgewählter Biografien. | |
Genaue Zahlen zu den Verlusten unter den Zwangssoldaten sind nicht bekannt. | |
Käppner spricht von relativ hohen Todesraten. Als illusorisch erwiesen sich | |
zuvor gefasste Pläne der 999er, geschlossen zum Feind überzulaufen. Meist | |
wurden sie auf reguläre Einheiten verteilt, um sie zu isolieren. | |
Joachim Käppner verweist auf die Lage in Griechenland: „Oftmals haben sie | |
keinerlei Verbindung zueinander, die Kommunikation ist oft gar nicht | |
möglich. Und wo immer ihre Bataillone stationiert sind, nirgendwo sind die | |
organisierten ‚Politischen‘ darin stark genug für einen Aufstand, der | |
Aussicht auf Erfolg hätte.“ | |
Immerhin konnten rund 600 Zwangssoldaten in Griechenland die Seiten | |
wechseln, darunter der Kommunist Wolfgang Abendroth, später in der | |
Bundesrepublik ein bekannter Politikwissenschaftler. Auf der Insel Limnos | |
lernte er griechische Partisanen kennen, versorgte sie mit Informationen | |
und desertierte mit ihrer Hilfe. Andere, die nicht fliehen konnten, | |
knüpften Kontakte zur Zivilbevölkerung, warnten vor Razzien und retteten so | |
vielen Menschen das Leben. | |
Gedankt wurde es ihnen nach Kriegsende nicht. Briten und Amerikaner machten | |
keinen Unterschied zwischen Zwangssoldaten und regulären | |
Wehrmachtsangehörigen und internierten beide Gruppen in den gleichen | |
Lagern. Dort waren die 999er den Schikanen und dem Terror nazi-treuer | |
Soldaten ausgesetzt, Überfallkommandos fielen nachts über die | |
„Vaterlandsverräter“ her und schlugen sie zusammen. | |
Joachim Käppner schätzt, dass allein in den deutschen Lagern in den USA bis | |
zu zwei Dutzend 999er ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Aber auch | |
den Davongekommenen blieb nach der Entlassung und Rückkehr nach Deutschland | |
die Anerkennung als NS-Opfer versagt: „Die große Lebenslüge von der | |
‚sauberen Wehrmacht‘ hatte für jene Soldaten, die sich unter Lebensgefahr | |
der Diktatur verweigert hatten, böse Folgen. Viele fühlten sich weiterhin | |
als ‚Verräter‘ stigmatisiert, litten unter Depressionen oder den Folgen der | |
Haft und der Verfolgung.“ | |
Das Schicksal des Sozialisten Heinz Schröder, das der Autor mit deutlicher | |
Sympathie für die 999er nachzeichnet, steht für viele Zwangssoldaten: 1946 | |
aus den USA nach Ostberlin zurückgekehrt, schließt Schröder sich der SED | |
an, wird aber 1950 ausgeschlossen, weil er als ehemaliger amerikanischer | |
Kriegsgefangener den SED-Genossen verdächtig ist. Schröder zieht nach | |
Westberlin, wird dort 1950 als politisch Verfolgter des Nazi-Regimes | |
anerkannt, doch sechs Jahre später widerruft das Entschädigungsamt die | |
Entscheidung: Er sei nach wie vor Anhänger eines totalitären Systems. | |
Bis heute gilt die Zugehörigkeit zur Strafdivision nicht als Verfolgung | |
durch den Nationalsozialismus. Ein deutsches Trauerspiel! Joachim Käppners | |
beachtenswerte Darstellung lässt den 999ern die Anerkennung zukommen, die | |
ihnen von offizieller Seite versagt wurde. | |
4 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Otto Langels | |
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