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# taz.de -- Lieber Literat als Landwirt
> Friedhelm Rathjen, bekannt als Übersetzer, betreibt in Nordfriesland den
> Verlag Edition Rejoyce. Dort publiziert er Texte über die eher kantigen
> Gestalten der Literaturgeschichte
Bild: Von wegen Bücherwurm im Gehäus: Übersetzer Friedhelm Rathjen macht jed…
Von Lenard Brar Manthey Rojas
Mit dem „Ulysses“ hatte alles angefangen. 1979, nach einer Fahrradtour
durch Irland, las Friedhelm Rathjen erstmals James Joycesmonumentales Werk
in der Übersetzung von Hans Wollschläger – mit wenig Verständnis und viel
Begeisterung, sagt er selbst. Es wurde die Initialzündung für eine
jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der Literatur: Kritiker, Übersetzer,
Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Herausgeber – es gibt wohl kaum
einen Bereich des Literaturbetriebes, in dem der heute 63-Jährige nicht
tätig war.
Die Produktion eigener primärliterarischer Texte stellte Rathjen zugunsten
seiner Übersetzungsarbeiten und einer wachsenden Zahl
literaturwissenschaftlicher Schriften. Ein Jonglieren mit Primär- und
Sekundärtexten gleichzeitig wäre dann doch nicht möglich gewesen. Dafür
erscheint die thematische Vielfalt seiner literarischen Studien umso
beeindruckender.
Vor allem interessiert Rathjen die Literatur der klassischen Moderne. Die
Beschäftigung mit Joyce, eine der schillerndsten Figuren dieser Epoche,
zieht sich wie ein roter Faden durch Rathjens literarisches Leben. So
verfasste er unter anderem eine Rororo-Monographie über den irischen
Schriftsteller, und 2013 wurde Rathjens Neuübersetzung von Joyces „Ein
Portrait des Künstlers als junger Mann“ im Rahmen der Frankfurter Buchmesse
mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet.
Wie sehr ihm ein genauer Umgang beim Übersetzen am Herzen liegt, zeigte
auch seine Aufsehen erregende Übertragung von Herman Melvilles Klassiker
„Moby Dick“ aus dem Englischen ins Deutsche. „Ich habe versucht, diese
ausufernden Satzkaskaden des Originals im Deutschen beizubehalten“, erklärt
Rathjen.
„Dadurch klingt es sehr befremdlich, wie es das Original aber auch tut.“
Wenn etwas aus einer deutschen Perspektive befremdlich sei, bemühe er sich
diese Fremdheit auch zu transportieren. Das ging dem Hanser-Verlag zu weit:
Man ließ Rathjens Übersetzung überarbeiten. Das Ergebnis empfand er nicht
länger als seine eigene Arbeit. Letztlich schlug er vor, nicht als
Übersetzer genannt zu werden und dafür die Rechte seiner ursprünglichen
Übersetzung zurückzuerhalten.
So veröffentliche Hanser 2001 ihre Version unter dem Namen von Matthias
Jendis, der die Überarbeitung vorgenommen hatte. Rathjens Übersetzung
erschien 2004 bei Zweitausendeins. Letztlich hatte der Konflikt dann doch
etwas Gutes: „Das war das schöne Ergebnis dieses zeitweisen enervierenden
und frustrierenden Prozesses: Das es nicht nur eine, sondern zwei neue
deutsche Übersetzungen des „Moby Dick“ gab“, so Rathjen. „Ich bin der
Meinung, dass es von den Texten, die es wert sind, nie genug Übersetzungen
geben kann, solange diese verschieden sind.“
Seit mittlerweile zehn Jahren lebt der gebürtige Niedersache Friedhelm
Rathjen aus persönlichen Gründen in Emmelsbüll-Horsbüll an der Nordseeküste
Schleswig-Holsteins. Eine Gemeinde im Kreis Nordfriesland mit nicht ganz
900 Einwohner*innen. Dies sei für ihn aber kein bedeutender Schritt
gewesen, die meiste Zeit seines Lebens habe er ohnehin auf dem Land
verbracht. „Ich bin nicht unbedingt ein Gruppenmensch.“
Auch während seines Studiums der Publizistik, Germanistik und Anglistik in
Münster habe er Gruppenarbeiten immer am schlimmsten gefunden. Wenn nicht
gerade eine Pandemie herrsche, sei er allerdings gerne mal unterwegs und
halte auch gelegentlich Vorträge. Grundsätzlich schätzt Rathjen jedoch die
Distanz zu den kulturellen Zentren der Großstädte: „Meine Kultur mache ich
mir selber.“
Weltliteratur ist in Rathjens Haus ohnehin allgegenwärtig. Von hier aus
leitet er die Herausgabe der Zeitschrift „Bargfelder Bote“, die sich mit
Leben, Werk und Wirkung Arno Schmidts auseinandersetzt. Eine Aufgabe, die
viel Organisation und Abstimmung mit unterschiedlichen Autor*innen
erfordert. Es gibt jedoch auch ein Format, das es Rathjen erlaubt, ohne
Abstimmung mit irgendwem zu schreiben und zu veröffentlichen.
In seinem Eigenverlag Edition Rejoyce veröffentlicht er seit Jahren seine
literaturwissenschaftlichen Schriften, die als books-on-demand erhältlich
sind: „Das ist der Rahmen, in dem ich alles publizieren kann, was ich gerne
publizieren möchte.“ Der Eigenverlag ermöglicht Rathjen seine
Unabhängigkeit. Der einzige Trend, nach dem er sich richten muss, ist sein
eigener Geschmack. Der Fokus liegt bei seinen selbst publizierten Texten,
besonders auf James Joyce, Samuel Beckett und natürlich Arno Schmidt.Wer
sich die Texte dieser Schriftsteller ansieht, erkennt schnell, dass Rathjen
sich vor allem für unkonventionelle Erzähler begeistert: Joyce, der sich in
seinem Werk immer weiter von klassischen Erzählmustern entfernte und
schließlich mit „Finnegans Wake“ ein Buch verfasste, das als unübersetzbar
gilt, Arno Schmidt, der viele Leser*innen schon durch seinen
eigenwilligen Einsatz von Typographie verschreckt und Samuel Becketts
Stücke mit ihren sich ständig im Kreis drehenden Gesprächen. Bücher, die
man einmal gelesen und dann meint, verstanden zu haben, stehen in Rathjens
Schriften nicht hoch im Kurs. Ihn faszinieren Werke, in die man sich
vertiefen, die man hinterfragen und wiederlesen muss, um einen Zugang zu
ihnen zu finden.
„Ich bin jemand, der möchte immer tiefer buddeln und weiter graben und
irgendwelche Dinge entdecken. Das ist eine Eigenschaft, die man mitbringen
muss, wenn man an einem bestimmten Typus Literatur Vergnügen haben will.“
Ein Blick auf die Bände der Edition Rejoyce genügt, um zu zeigen, dass sich
Rathjen nicht nur diesen Autoren widmet, sondern einer Vielzahl bekannter
und weniger bekannter Schriftsteller*innen.
Es finden sich unter anderem Untersuchungen von Texten Shakespeares,
Brigitte Kronauers, Juan Goytisolos oder Mark Twains. Einige Bände, wie
„Vom Glück“, versammeln zudem einige von Rathjens eigenen literarischen
Arbeiten. Seit 2004 sind bei Edition Rejoyce 91 Bände erschienen, darunter
allerdings auch ein paar Doppel- und Mehrfachveröffentlichungen. Zuletzt
erschienen im Februar, passend zum 100. Geburtstag des „Ulysses“,
„Textfunde – Eine Wundertüte zur Weltliteratur mit James Joyce als
Zunderwunder“ und „Winnegans Fake – Aus dem Spätwerk“.
Dennoch besteht Rathjens Tag nicht nur aus Arbeit. Er schreibe weniger als
früher. Jeden Vormittag mache er zudem eine ausführliche Radtour,
schließlich möchte er körperlich in Form bleiben. Dass Literatur nicht
immer das Wichtigste sei, habe er schon lange verinnerlicht: „Schon vor 25,
30 Jahren habe ich mir eine Auszeit erlaubt, wenn eins meiner Kinder Lust
auf eine Radtour hatte. Dann fand ich, diese Radtour mit dem Kind zu
machen, wäre für die Welt wichtiger und besser, als wieder zwei Seiten an
irgendeinem Text zu schreiben.“
Seine vier erwachseneren Kinder sind seit Jahrzehnten aus dem Haus.
Beruflich ist zunächst keines in Rathjens Fußstapfen getreten. Die jüngste
Tochter studiert derzeit allerdings in Reykjavík isländische Sprache und
Literatur. Dass sie alle eigene Wege gegangen sind, begrüßt Rathjen: Wenn
man sich an den Berufen der Eltern orientieren müsste, wäre er schließlich
Bauer geworden.
18 May 2022
## AUTOREN
Lenard Brar Manthey Rojas
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