# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Fabian Schroer: Soja-Steak with Love | |
Als ich am Samstagnachmittag mit leichten Kopfschmerzen vor dem Einlass zum | |
İç İçe Festival stehe, gibt es keine Tickets mehr. Auf meinen Kopfhörern | |
lief gerade noch „Mein Herz bricht“ von Bilderbuch. „Ausnahme! Weil du von | |
der taz bist, unseren lieben Partner*innen, aber sag nächstes Mal vorher | |
Bescheid“, sagt die Kollegin am Einlass lächelnd. İç İçe heißt so viel … | |
„ineinander verschränkt“ oder „miteinander verwoben.“ | |
Trotz grauem Himmel herrscht sonnige Stimmung im Außenbereich des Festsaals | |
Kreuzberg. Ich laufe über den Kies zur Bar, bezahle 2,50 Euro für 1 Fasche | |
Fritz Spritz Rhabarber, setzte mich etwas abseits der Tanzfläche, drehe | |
eine Zigarette und beobachte rauchend die Menschen. Ein schlanker Dude mit | |
langen schwarzen Locken und dunkelblauem Overshirt steht im Eingang zum | |
Saal, breitet die Arme aus und sagt zu seinem Kumpel, „Alter, was für coole | |
Menschen es gibt, die trifft man sonst nie, Digga!“ | |
Ich gehe rein. Auf der Bühne erzählt die Musikerin EVÎN, dass ihre Leute | |
sich immer versichern, wie unbeschwert früher alles war. „Wir hatten so | |
eine gute Zeit!“ Sie sage dann immer: „Jaja, voll!“ Aber eigentlich sei es | |
doch eine schwere Zeit gewesen, voller Druck und Unsicherheiten. Ich | |
verstehe sie und merke, wie ich gerade selbst anfange eine sehr gute Zeit | |
auf dem Festival zu haben. | |
Als ich wieder auf den Hof trete, bläst der Wind durch die Blätter der | |
Weidenbäume und die Sonne kommt zwischen den Wolken hervor. Die DJane | |
spielt „Goca Dünya“ von Altın Gün und hat dabei ihr Baby in einer Trage … | |
den Bauch geschallt. Das Kind trägt knallblaue Ohrenschützer. Die Leute | |
johlen und werfen beim gemeinsamen Tanzen die Arme in die Luft. | |
Später treffe ich meine Freundin und meine Mitbewohnerin in einem veganen | |
Burger-Restaurant nahe dem Hertzbergplatz. Der Kumpel, der uns dort | |
hinbestellt hat, sagt selbst fünf Minuten vorher ab. Ich trinke noch eine | |
Limonade, wir bestellen drei Burger mit Zwiebel-Sauerkirsch-Chutney und | |
Sojasteaks, Süßkartoffel-Fries, Potato Wedges. Der Burger schmeckt mir gut, | |
ich merke aber, dass er für mich eigentlich fettiger und salziger sein | |
müsste und mehr zusammenkleben sollte. | |
Nach langem Hin und Her, zwei New York Sours und einem halben Berliner | |
Kindl gehen mein noch dazugestoßener Mitbewohner und seine Freundin ins | |
Christa Kupfer tanzen. Meine Mitbewohnerin bleibt zu Hause. Ich habe keinen | |
Bock auf House, schaffe es heute nicht, meinen Einzelkind-Kopf | |
auszuschalten, und gehe mit meiner Freundin, der das Ganze ziemlich egal | |
ist, zu zweit ins Arkaoda. Im dunklen, vernebelten Keller des Ladens | |
spielen Peter Graf York und Fizzy Veins entspannte elektronisch-organische | |
Beats vor einer familiären Crowd. Ein Startup-Typ mit weißem Shirt und | |
blondem Man-Bun fragt mich nach einer Zigarette. Während er dreht, sage ich | |
ihm, wie ich mich freue, dass heute alle so nett zueinander sind, und dass | |
das ja in Berlin nicht unbedingt selbstverständlich sei. | |
Er erzählt mir daraufhin, dass er wie ich in Neukölln lebe, in seinem Haus | |
„der einzige Deutsche“ sei, und es liebe. Als er eingezogen sei, habe er | |
erst mal ein großes Blech Muffins gebacken und sei damit von Wohnungstür zu | |
Wohnungstür gegangen. Zuerst hätten ihn alle schräg angeschaut, aber jetzt | |
sei er total eingebunden. Zum Abschied legt er mir seine Hand ein wenig | |
tiefer auf den Rücken als erwartet und nennt mich bei meinen Namen. | |
Bevor wir gehen, tanzen meine Freundin und ich noch ein bisschen abseits | |
der Menge und fühlen uns trotzdem ganz verwoben. Dann geht’s nach Hause | |
durch den nass-kalten Berliner Mai. Dabei: Frühlingsgefühle, Verbundenheit, | |
fremde Menschen, Liebe Liebe Liebe!I | |
31 May 2022 | |
## AUTOREN | |
Fabian Schroer | |
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