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# taz.de -- Distanz und Zärtlichkeit
> Der Hyperpop-Musiker Sega Bodega hat ein beeindruckendes Album
> geschaffen. Am Samstag stellte er es im Gretchen vor
Von Zora Schiffer
Die Musikwelle namens Hyperpop hat sich in den letzten zehn Jahren
aufgetürmt und wächst immer weiter an jeder neuen Inspiration. Ihr Wesen
ist fluide, dynamisch und kollektiv. Und eine ihrer antreibenden Kräfte ist
Sega Bodega.
Der irisch-chilenische Musiker und Produzent, mit bürgerlichem Namen
Salvador Navarrete, tourt gerade mit seinem jüngsten Album „Romeo“ durch
Europa. Es erschien beim Label Nuxxe, das er 2016 zusammen mit [1][Shygirl]
und Coucou Chloe in London gründete. Am Sonnabend spielte Sega Bodega in
Berlin im Gretchen und verzauberte mit einem Balanceakt aus Distanz und
Zärtlichkeit, verbildlicht in einem simplen und genialen Bühnenbild: An
drei hohen Kleiderstangen hängen leichte, silbrig-transparente Stoffe. Wenn
die Windmaschine weht, tanzen sie wie barocke Quallen durch die Luft.
Nachdem ein offensives Intro aus wummernden Triphop-Beats die Masse
agitiert hat, taucht Sega Bodega hinter den Stoffbahnen auf und bleibt dort
für ein paar Songs, sichtbar, aber getrennt vom Publikum durch eine
Membran, einen mythischen Hauch.
Es ist die perfekte Metapher für das Album „Romeo“. Was die technische
Seite der digitalen Musikproduktion angeht, hat sich der 30-jährige Sega
Bodega seit 2013 ein riesiges Repertoire angeeignet. Aggressive, düstere
und tanzbare Drum-’n’-Bass- und Dancehall-Beats wechseln sich ab mit
Kompositionen, in denen sich vielfach vermehrte und verfremdete Stimmen zu
himmlischen Chören und Harmonien entwickeln. Auf diesem beeindruckend
vielseitigen Sound ruhen ohrwurmtaugliche Pop-Melodien.
Trotz alldem bleibt die Musik zurückhaltend. Sega Bodega täuscht keine
emotionale Reife vor und geht – so paradox es klingt – offen mit seiner
Schüchternheit um. Zum Beispiel indem er leiser singt oder sich hinter
Verzerrungen – oder eben einem Vorhang – versteckt. Wenn er singt, klingt
es ungeübt im guten Sinne, und seine Themen sind allgemeinverständlich:
Kummer, Einsamkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit auf der Suche nach
echter Liebe und Nähe.
In Songs wie „Angel On My Shoulder“ und „Only Seeing God When I Come“
kommuniziert er mit einer imaginären Liebhaberin namens Luci. Sie hat keine
spezifischen Eigenschaften, außer dass sie aus Licht besteht und für den
mit der Liebe Hadernden da ist. Religiöse Denkbilder sind für Salvador
Navarrete poetische Mittel und drücken keinen praktizierten Glauben aus.
Und manchmal kann sich das bei aller Ratio wie eine Leerstelle anfühlen.
Zum Beispiel wenn eine Freundin stirbt, wie es der Song „Um, Um“ ausdrückt,
in dem Sega Bodega den [2][tragischen Tod der Musikerin Sophie Xeon]
verarbeitet:
„I don’t believe in any God quite enough to pray/ So why would he listen to
a word I have to say?/ See you in the sunshine/ See you when the, see you
when the rain comes down/ I see you in everything/ Even though you’re, even
though you‘re not around“. Der Text ist so simpel – und wird doch bei jed…
Wiederholung tiefer und trauriger, als das Publikum einstimmt, um den
Sänger zu unterstützen, den dieses ritenhafte Lied immer noch sichtlich
ergreift.
Das alles ist bis auf wenige Momente kein Kitsch. Denn dystopische Kälte
und Abgeklärtheit sind ebenfalls omnipräsent. Befremdliche digitale Klänge
und Roboterstimmen lassen keine sentimentale Einfühlung zu und schaffen
stattdessen indirekt eine Konfrontation mit der sozialen und planetaren
Realität, in der wir leben. Und die ist ebenso vergänglich wie die Liebe.
Vielleicht ist es diese Einsicht, die die meist jungen
Hyperpop-KünstlerInnen verbindet und die ihre Musik so wunderschön, kantig
und traurig zugleich macht.
16 May 2022
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## AUTOREN
Zora Schiffer
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