# taz.de -- das wird: „Betroffene werden beschuldigt“ | |
> Verharmlost, toleriert und normalisiert: Iris Hannig über den Mord von | |
> Frauen durch (Ex-)Partner | |
Interview Henrike Notka | |
taz: Frau Hannig, was unterscheidet geschlechtsspezifische Gewalt gegen | |
Frauen von der gegen Männer? | |
Iris Hannig: In Bezug auf den sozialen Nahraum und Paarbeziehungen | |
betrifft Gewalt viel häufiger Frauen als Männer. | |
Wovon sprechen wir da? | |
Von schwerer körperlicher Gewalt, die mit Kontrolle, mit Demütigung und mit | |
der Einschränkung des Lebensraums der Frau einhergeht. Sie macht körperlich | |
und seelisch krank und viel zu oft kommt es zur Tötung, sprich zum Femizid: | |
Alle drei Tage wird eine Frau durch ihren (Ex-)Partner umgebracht. | |
Wie lassen sich Femizide verhindern? | |
Lösungen müssten auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen, da Gewalt | |
allgegenwärtig ist. Eine bundesweite Koordinierungsstelle, um Maßnahmen | |
gegen Gewalt an Frauen zu koordinieren, halte ich für sinnvoll. Mädchen und | |
Frauen müssen weltweit in ihrer Selbstentwicklung gestärkt werden und ihrem | |
Recht, über sich selbst zu entscheiden. Hier sollte schon im Kindergarten | |
mit präventiven Konzepten zu jeglicher Form von Gewalt angesetzt werden – | |
die gesamte Zivilgesellschaft muss in dieser Hinsicht sensibilisiert | |
werden. Schließlich werden noch immer Betroffene nach sexualisierter Gewalt | |
beschuldigt, sie hätten nicht so einen kurzen Rock anhaben dürfen oder | |
nicht nachts unterwegs sein sollen. Die Rechtsprechung ist hier zum Teil | |
auch eine Katastrophe und sehr täterorientiert. | |
Bräuchte es auch eine andere Erziehung von Jungen? | |
Unbedingt! Es gibt den plakativen Satz: Schützt nicht eure Mädchen und | |
Frauen, sondern erzieht eure Männer und Jungs. Dazu zählt auch, dass die | |
weiche Seite eines Mannes gesellschaftsfähig werden muss. | |
Wo finden Überlebende Hilfe, zum Beispiel in Hamburg? | |
Das Schutz- und Beratungssystem in Hamburg ist relativ gut. Trotzdem | |
reichen gerade die Frauenhausplätze nicht aus. Damit sie guten Schutz für | |
die Frauen garantieren, sind sie in ganz normalen Gebäuden untergebracht, | |
die Adressen sind anonym. Außerdem gibt es das bundesweite Hilfetelefon und | |
diverse Beratungsstellen, die auf www.hamburg.de/opferschutz zu finden | |
sind. Hier wird auch interkulturelle Beratung mit der jeweiligen | |
Erstsprache angeboten. Diese Möglichkeiten müssten aber alle noch bekannter | |
werden, denn viele wissen nichts davon oder schämen sich zu sehr, um sie in | |
Anspruch zu nehmen. Schuldgefühle hindern viele und führen zu Isolation. | |
Fühlen sich Betroffene bei Schutz- und Beratungsstellen gut aufgehoben? | |
Was wir selbstverständlich machen, ist die Betroffenen ernst zu nehmen und | |
versuchen sie zu schützen. Natürlich können wir nicht verhindern, dass sie | |
in die Gewaltbeziehungen zurückkehren. Die gehen mit sehr ambivalenten | |
Gefühlen einher: Neben der Gewalt gibt es auch Liebe – und Hoffnung. | |
Worauf? | |
Darauf, dass sich der Partner ändert, dass er aufhört. Deshalb haben wir | |
professionelle und erfahrene Mitarbeiter:innen. | |
Wie steht es um die Sensibilisierung von polizeilichen Anlaufstellen? | |
In Hamburg gibt es Sachbearbeiter:innen für Beziehungsgewalt, die die | |
Schutz- und Beratungsstellen kennen. Auch das Opferschutzreferat der | |
Polizei arbeitet daran, die eigene Sensibilität zu erhöhen. Es gibt jetzt | |
auch eine externe Beschwerdestelle, in der Sozialpädagog:innen arbeiten, | |
nicht Polizeibeamt:innen. Bei einer Anzeige empfehlen wir allerdings immer, | |
vorher bei der jeweiligen Stelle nachzufragen, weil die generelle | |
Sensibilität natürlich völlig unterschiedlich ist. | |
26 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Henrike Notka | |
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