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# taz.de -- berliner szenen: Mit Westwind bis Spandau
Die Fahrradkette rasselt. Es geht vorbei am Robert-Koch-Institut, dort, wo
im Frühling 2020 einsame Ein-Mann-Demos mit einsam in die Höhe gehaltenem
Schildern gegen eine „Corona-Diktatur“ auf und ab liefen. Dann kommt der
Westhafen, das Schüttgut stapelt sich häufchenweise im Binnenschiff, der
Rückenwind trägt mühelos zum Plötzensee.
Vorbei an dem Friedhof, der bald seine Tore für immer schließt. Grabsteine
liegen wild durcheinander gestapelt im blutroten und zerbeulten
Baucontainer. So geht sie also endgültig zu Ende irgendwann, diese
Existenz.
Runter zum Hohenzollernkanal, die Sonne glitzert auf den Miniaturwogen. Der
Weg ist aufgerissen, Baumwurzeln drücken von unten gegen den Asphalt, eine
furchtbare Buckelpiste. Das Metallkreuz kommt, das den Todesort des
Schriftstellers Wolfgang Herrndorf markiert, hier erschoss er sich 2013
schwer krebskrank. Die daran aufgehängte winzige Discokugel baumelt
fröhlich tröstend im Frühlingswind.
Die Mauer, an der sich Sprayer austoben inmitten der Ödnis, jede Woche
zieren andere bunte Farben das Ufer des Kanals. Der Westwind beschleunigt
das blaue Fahrrad in einen ungekannten Geschwindigkeitsrausch. Flughafen
Tegel, er fliegt vorbei, es geht immer weiter und weiter. Schlüsselblumen
schießen am Wegesrand aus der Wiese und sind wohl bald schon verblüht.
Freihändig gen Spandau. Rüber auf die andere Seite, über die Brücke
jenseits des Kanupolo-Beckens, und flugs ist man inmitten dieses riesigen
Spandauer Bauprojekts, eine Staubwüste mit generischen Häusern darin,
nebendran die Havel im sanften Nachmittagslicht. Auf dem Vorplatz des
Bahnhofs Spandau schließlich verloren in der geschäftigen Menschentraube,
verschluckt vom der S-Bahn zustrebenden Menschensog. Julian Sadeghi
25 Apr 2022
## AUTOREN
Julian Sadeghi
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