# taz.de -- „Die Angst des Großinquisitors“ | |
> Bischof i. R. Gerhard Ulrich spielt in „Don Karlos“ einen Theologen, der | |
> ihn an den Patriarchen Kyrill denken lässt | |
Interview Lenard Brar M. Rojas | |
taz: Herr Ulrich, ein evangelischer Bischof als brutaler Großinquisitor: | |
Wie kam es zu dieser Konstellation? | |
Gerhard Ulrich: Ich habe als Bischof bereits mit dem Theater in Kiel | |
zusammengearbeitet. Daher kannten wir uns. Der Regisseur Malte Kreutzfeldt | |
hatte die Idee, dass den Großinquisitor jemand darstellen sollte, der von | |
außen kommt. Es war eine Anfrage des Theaters an mich. | |
Was interessiert Sie an dieser Figur? | |
Für jeden ist es eine große Herausforderung eine Figur näher | |
kennenzulernen, die in ihren Handlungen und Weltbildern ganz anders | |
disponiert ist als man selbst. Mich reizt als Theologe an dieser Figur | |
deren menschenverachtende Haltung. Was ist das für ein Mensch, der sein | |
Handeln mit dem Evangelium begründet und dieses für die Rechtfertigung | |
eines Mordes missbraucht? Was für emotionelle und kulturelle Tiefen tun | |
sich dort auf? | |
Was macht den Stoff heute noch aktuell? | |
Angesichts der Kriegsverbrechen in der Ukraine muss man nicht viel | |
Aktualisierung betreiben. Die kleine Szene mit dem Großinquisitor zeigt, | |
was passiert, wenn Menschen absolute Macht beanspruchen und diesen Anspruch | |
geistlich begründen. Ich denke zum Beispiel an den russischen Patriarchen | |
Kyrill, der Präsident Putin mit Predigten in seinem kriegerischen Treiben | |
unterstützt. Das ist das Thema von „Don Karlos“: Die Unterdrückung der | |
Freiheit der Einzelnen, die aus der Angst vor Freiheit und Demokratie | |
wächst. Das ist die Angst des Großinquisitors, seine Macht zu verlieren. | |
Sie haben Theaterwissenschaften und Theologie studiert. Welche | |
Gemeinsamkeit bestehen zwischen Kirche und Theater? | |
Bertolt Brecht hat gesagt: „Die heutige Welt ist den Menschen nur | |
beschreibbar, wenn sie als eine veränderbare Welt beschrieben wird, weil | |
sie eine Veränderung braucht.“ Das ist der Anspruch, die Welt mit ihrer | |
eigenen Realität zu konfrontieren und so zu einer Veränderung zu gelangen. | |
Für mich war diese Aussage eine große, auch geistliche und theologische | |
Entdeckung. Das ist eigentlich ein theologischer Satz von Brecht, und das | |
ist ein gemeinsames Anliegen von Theater und Kirche. Das Anliegen der | |
Theologie ist, die Realität der Welt zur Sprache zu bringen und sie mit den | |
biblischen Verheißungen des Friedens zu konfrontieren. Das Theater tut das | |
mit eignen Mitteln. | |
Sie haben Theaterpredigten gehalten. Wie kann man sich das vorstellen? | |
Das ist ein Format, das ich im Wesentlichen selbst entwickelt habe. Als ich | |
in Schwerin meinen Bischofssitz hatte, wandte ich mich an das | |
mecklenburgischen Staatstheater und sagte: „Ich würde gerne Theaterstücke | |
aus der aktuellen Spielzeit theologisch kommentieren.“ Dann bin ich bei | |
diesen Szenen auf die Bühne gegangen und habe dort gepredigt, das | |
Inszenierte theologisch gedeutet, nicht als Eingriff in die Inszenierung, | |
sondern als zusätzliche Möglichkeit, sich mit der Inszenierung | |
auseinanderzusetzen. | |
22 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Lenard Brar Manthey Rojas | |
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