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# taz.de -- Moderne Kriege
> Nicholas Mulders international erste Geschichte der politischen
> Sanktionen
Von Lennart Laberenz
Oligarchenvillen, Swift, der Chelsea FC, vielleicht auch Gas und Öl – grade
ist hohe Zeit der Sanktionen. Wie passend, dass der Historiker Nicholas
Mulder eben eine präzise Geschichte der Sanktion als ökonomische Waffe in
modernen Kriegen veröffentlicht hat.
Als der Völkerbund 1920 im spanischen San Sebastián tagt, setzt sich der
britische Außenminister Arthur Balfour vor Journalisten und erklärt, dass
man eine ökonomische Waffe brauche: „Keine Nation wird sich zerstören
wollen, indem es so eine Strafe gegen sich einlädt.“ Es hat frühere Formen
gegeben – die Blockade des Hafens von Megara 432 v. Chr. –, aber
internationale Maßnahmen hatten ein anderes Gesicht: Sanktionen gegen Krieg
führende Parteien, aber auch gegen im weiteren Sinne aggressive Staaten
sollen Kriege beenden oder Konflikte vermeiden, bevor das Militär loslegt.
Solche Absprachen mussten juristisch geklärt und prozedural vorbereitet
werden.
Mulder blickt auf die Sanktion als Ergebnis der heraufziehenden Moderne und
damit auf Staaten in ihrer Phase administrativer Festigung; auf
Wirtschaftskreisläufe, die bereits eng vernetzt, aber oft noch nicht
erfasst waren. Sanktionspolitik musste sich gegen nationale Interessen und
Neutralitätsgedanken durchsetzen. Sanktionen wurden als politisch angenehme
Erlasse kritisiert, die mit einem Federstrich fürchterliches Leid von
Unbeteiligten durchsetzten.
Die Spielarten des Liberalismus in Europa hatten sehr unterschiedliche
Haltungen zu Maßnahmen, die Gesellschaften heftig trafen – außerdem waren
noch im 19. Jahrhundert Wirtschaft und Handel vom Krieg ausgenommen.
Der Erste Weltkrieg hob unter anderem mit dem Maschinengewehr die
Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten auf, und er
machte den Weg frei für den Gedanken, das Wohlergehen der Zivilbevölkerung
als Druckmittel gegen eine Krieg führende oder aggressive Regierung
einzusetzen. Heute akzeptieren wir das problemlos. Aber Sanktionsgewalt war
ursprünglich nur ein Teil der Völkerbund-Idee: Ein positives
Instrumentarium – finanzielle und logistische Hilfe – wurde nie
formalisiert. Zeitgenossen ahnten mit Blick auf die letzten Kriegsjahre und
die Sanktionen der Entente gegen das Deutsche Reich, dass Sanktionen
„permanenter Teil der Maschinerie der organisierten Menschheit“ werden
würden.
Sie konnten auch kontraproduktiv wirken. Sanktionen verschlimmerten die
wirtschaftliche Lage in den 1930ern, die Antwort der NS-Regierung war der
Vierjahresplan mit den Zielen Autarkie und Kriegsfähigkeit. So wurden,
Mulder zufolge, die Sanktionen Teil einer Dynamik territorialer Expansionen
Deutschlands und Japans. Zumindest ließen sie sich propagandistisch dafür
ausschlachten. Diesen Teil der Geschichte scheint sich auch Wladimir Putin
gemerkt zu haben.
9 Apr 2022
## AUTOREN
Lennart Laberenz
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