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# taz.de -- Wagner gesprengt
> Der Berliner Jazzdrummer Max Andrzejewski dekonstruiert den „Ring des
> Nibelungen“ bis zur Unkenntlichkeit. Zu was ist dieses Projekt gut?
Von Sophie Emilie Beha
Wenn das Werk von Richard Wagner nicht auf den Scheiterhaufen gehört, dann
zumindest in einen Steinbruch. So oder so ähnlich muss sich das der
Berliner Schlagzeuger und Komponist Max Andrzejewski gedacht haben, als er
sich vergangenes Jahr an „Mythos“ gewagt hat. Beauftragt vom
Theaterregisseur Ersan Mondtag, komponierte der 35-jährige Andrzejewski
vier neue Ouvertüren für „wagner – der ring des nibelungen (a piece like
fresh chopped wood)“.
25 Jahre beschäftigte sich Richard Wagner mit dem „Ring des Nibelungen“,
seinem Hauptwerk, dem die Nibelungensage zugrunde liegt. Er eignete sich
den urdeutschen Mythos an und erschuf im Zusammenklang mit der Komposition
ein zu seiner Entstehungszeit (1848–1874) inhaltlich wie musikalisch
revolutionäres Werk. Zentrales Thema des Mythos – schon bei Wagner – ist
der Raubbau an der Natur durch den Menschen. Der Raub des Goldes durch den
Nibelungen Alberich aus dem Rhein, der am Anfang des Ringes steht, läutet
die Götterdämmerung und damit den Untergang der Erde ein. Wovon Wagners
Werk neben all den Mythengestalten allerdings auch voll ist: Misogynie und
Antisemitismus. Alberich ist nämlich auch eine Personifizierung zahlreicher
antisemitischer Stereotype.
Die Originalwerke dienen nicht für eine Bearbeitung, sondern bestenfalls
für eine Sprengung. Aus den Trümmern hat sich Andrzejewski dann einige
wenige ausgesucht, die er eingeschmolzen, verfestigt und verformt hat, bis
hin zur Unkenntlichkeit. Selbst glühendste Wagnerianer:Innen
erkennen in seinen Mythos-Ouvertüren die Originale nicht wieder, nicht mal
ein Leitmotiv!
Für seine eigene Rheingold-Ouvertüre, bei Andrzejewski „Mythos I“, hat er
das vierminütige Original auf eine schlappe Sekunde eingedampft, das Ganze
elektronisch noch extrem verzerrt und das als Ausgangspunkt für seine
Komposition hergenommen. Heraus kommt ein penetranter elektronischer
Schwellkörper, der nach einigem Pulsieren von hellen Bläsern und Streichern
abgelöst wird. Genau wie Wagner wiederholt Andrzejewski bestimmte Motive,
Akkordabfolgen und Klangfarben. Für „Mythos III“, die neue
Siegfried-Ouvertüre, hat er sich mit dem Ausgangswerk auf Kopfhörern in
sein Studio gesetzt, auf einem erweiterten Drum-Set dazu improvisiert und
das Ganze aufgenommen, um es als Ausgangspunkt für seine Komposition zu
nutzen.
## Schwulst zu Steinbruch
Andrzejewski zitiert in den eigenen Vorspielen zu „Walküre“ und
„Götterdämmerung“ sogar das Original. In „Mythos II“ (dem Äquivalent…
Walküren-Ouvertüre) ist es ein Bratschenmotiv – allerdings rhythmisch
komplett anders zusammengesetzt und verteilt auf mehrere Instrumente. Hier
brauchen sich die Musiker*innen nicht an die festgelegte Notation zu
halten: Sie können die Stelle mit selbstgewählter Artikulation und im Tempo
ihrer Wahl spielen. Dadurch entstehen Unschärfen, lebendige Abweichungen
und Kontrollverluste.
Max Andrzejewski vereint auf „Mythos“ zwei seiner Grundinteressen: freie
Improvisation und Komposition. Nicht nur als Komponist, sondern auch am
Schlagzeug. Gemeinsam erzeugen die zwölf Musiker*innen lichte,
verträumte Atmosphären. Durch die Besetzung entsteht Transparenz – das
Gegenteil von Wagners schwerromantischen Orchesterapparaten. Wagners
Schwulst ist bei Andrzejewski wirklich ein Steinbruch. Er baut dort
einzelne Motive ab, um sie in seinen eigenen Ouvertüren anders
weiterzuspinnen. Gerade diese Distanz zur Vorlage macht die Qualität dieser
Einspielung aus: Sie überzeugt mit schillernden Klangfarben, mäandernden
Motiven und Bombastlosigkeit.
Ähnlich, aber anders geht da übrigens das Ring Orchestra vor, ein
achtköpfiges Kollektiv, das sich für eine Ring-Adaption am Schauspielhaus
Zürich zusammengefunden hat. In seinem kürzlich veröffentlichten Album
nimmt es in 18 Kompositionen mit Einflüssen aus Ambient, Reggaeton und
einer Vielzahl nicht-westlicher Musiktraditionen Wagners Opus magnum
auseinander. Ebenso wie Max Andrzejewski durch Dekonstruieren und
Aufbrechen. Dessen vier Kompositionen sind Gegenentwürfe zu Wagners
Ouvertüren. Sie erscheinen beim Label Backlash, allerdings ausschließlich
online.
https://maxandrzejewski.bandcamp.com/album/mythos
30 Mar 2022
## AUTOREN
Sophie Emilie Beha
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