# taz.de -- kritisch gesehen: Langeweile, wie sie sein sollte | |
Bild: Figuren, konfrontiert mit sich selbst: Tschechow in der Gaußstraße | |
Nur um sie zu verneinen, stellt der trübsinnige Arzt Astrov im Drama die | |
Frage, ob jene, die in 200 Jahren leben und denen man heute den Weg bahne, | |
„mit einem guten Wort an uns denken“ würden? Im Hinblick auf den Verfasser | |
des Stücks, Anton Tschechow, lässt sie sich hingegen eindeutig bejahen. | |
Insbesondere beim Thalia-Theater steht der russische Dramatiker derzeit | |
hoch im Kurs. Neben [1][Kirill Serebrennikovs Aufsehen erregender | |
Dramatisierung der Erzählung „Der schwarze Mönch“] zeigt es derzeit mit | |
„Onkel Wanja“ in der Spielstätte Gaußstraße auch eins der kanonischen | |
Tschechow-Stücke. | |
Und so langweilen und streiten sich die bekannten Figuren jetzt dort: Der | |
egozentrische Professor Serebrjakow, der sich über das Altern beklagt, die | |
unglücklich verliebte Sonja und Wanja, der von seinem verschwendeten Leben | |
erzählt. Hakan Savaş Micans Inszenierung ist keine spektakuläre Show, sie | |
bricht nicht mit Tschechows Text. Stattdessen präsentiert Mican ein | |
minimalistisches Bühnenbild und orientiert sich eng an der Vorlage. | |
Abgesehen von eingestreuten Szenen auf der Leinwand, die hinter die | |
Kulissen blicken und die Darsteller*innen scheinbar als sich selbst | |
auftreten lassen. | |
Ansonsten lässt Mican den Text und die Figuren für sich sprechen, während | |
die Leinwand immer mal wieder Live-Nahaufnahmen der Schauspieler*innen | |
zeigt. So geht es bis zur grandios gespielten Schlussszene, in der Stefan | |
Stern die Verzweiflung Wanjas körperlich anschaulich werden lässt, während | |
Sonja, wunderbar melancholisch dargestellt von Meryem Öz, ihm ein besseres | |
Leben nach dem Tod verspricht. | |
„Wanja in der Gaußstraße“ präsentiert dem Publikum vielleicht keinen neu… | |
noch nie dagewesenen Zugang zu dem Klassiker, aber gerade durch die | |
Vorlagentreue zeigt sich, wie anschlussfähig Tschechows Drama auch ohne | |
inszenatorische Hervorhebungen und Verfremdungen für unsere Zeit ist. Die | |
ausufernden Klagen des Arztes über die Ausbeutung der Natur könnte man | |
schließlich auch bei einer Fridays-for-Future-Demo vortragen: „Man muss ein | |
Barbar ohne Sinn und Verstand sein, um das zu zerstören, was wir nicht | |
erschaffen können.“ Die Frage der Sinnstiftung für das eigene Leben, nach | |
der sich alle leidenden Figuren auf der Bühne sehnen, bleibt wohl zeitlos | |
aktuell. | |
Ohne das Stück zwanghaft aufs aktuelle Weltgeschehen zu beziehen, gelingt | |
in einer Art Vorspiel ein kurzer Hinweis auf die Kriegsrealität: | |
Telegin-Darsteller [2][Daniel Kahn singt zu Beginn das jiddische Lied | |
„Vemen Veln Mir Dinen, Brider“]: „Dem rusishn keyser dinen iz nit gut / | |
Vayl er tut zikh bodn in undzer blut“, also weil er in unserem Blute badet. | |
Das stammt, wie das Stück, aus der Zaren-Zeit und klingt doch schrecklich | |
gegenwärtig. Lenard Brar Manthey Rojas | |
Onkel Wanja, Thalia-Theater in der Gaußstr., Hamburg. Wieder am 8. und 20. | |
4., 20 Uhr | |
28 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kirill-Serebrennikov-am-Hamburger-Thalia-Theater/!5827217/ | |
[2] https://www.paintedbird.de/index.php?option=com_content&view=category&layou… | |
## AUTOREN | |
Lenard Brar Manthey Rojas | |
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