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# taz.de -- Erst Londongrad, dann Saudi United
> Roman Abramowitsch war ein Pionier in England. Er hat den
> Investoren-Fußball erst hoffähig gemacht
Aus London Hendrik Buchheister
Der Mann, der den englischen Fußball revolutionierte, kam aus der Luft. Die
Legende besagt, dass Roman Abramowitsch im Sommer 2003 mit einem
Hubschrauber über dem Westen Londons kreiste, um sich einen Verein
auszusuchen, wie ein Kind, das im Spielwarenladen am Wühltisch steht.
Abramowitsch, damals 36 Jahre alt, erblickte von oben das altmodische
Craven Cottage des FC Fulham und war wenig beeindruckt. Besser gefiel ihm
ein Stadion rund zweieinhalb Kilometer weiter – die Stamford Bridge des FC
Chelsea. Abramowitsch kaufte die „Blues“ für 140 Millionen Pfund, damals
umgerechnet rund 210 Millionen Euro, und veränderte den englischen Fußball
für immer.
Nach fast 19 Jahren geht die Ära des Rohstoffmagnaten als Chelsea-Besitzer
zu Ende, im Schatten von Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine. Die
britische Regierung hat Abramowitsch als „kremlfreundlichen Oligarchen“
eingestuft, Sanktionen verhängt und seine Besitztümer eingefroren. Neben
Chelsea gehört dazu ein Immobilien-Portfolio in London im Wert von knapp
240 Millionen Euro. Abramowitsch, mittlerweile 55, bestreitet eine Nähe zu
Putin. Chelsea wird in Kürze einen neuen Besitzer bekommen, Interessenten
hatten bis Freitag Zeit, ihre Angebote einzureichen. Das Erbe des
russischen Milliardärs wird bleiben.
Abramowitsch war der wohl erste Superreiche, der einen Fußballverein im
Ausland kaufte, und das nicht, um Geld zu verdienen, sondern als Hobby.
Rund zwei Milliarden Euro hat er während seiner Regentschaft an der
Stamford Bridge in den FC Chelsea gesteckt und ihn damit von einem einst
verschuldeten Mittelklasseklub mit nur einer Meisterschaft (1955) zur
Weltmarke gemacht. Unter Abramowitsch gewannen die Blues je fünfmal die
Premier League und den traditionsreichen FA-Cup, zweimal die Europa League
und zweimal die Champions League.
Als erster Oligarch im englischen Fußball ebnete Abramowitsch den Weg für
hoch vermögende Klubeigentümer aus dem Ausland mit teilweise fragwürdigen
Motiven. Der Einstieg von Abu Dhabi 2008 bei Manchester City und – im
vergangenen Jahr – des Staatsfonds von Saudi-Arabien bei Newcastle United
wären wohl nicht möglich gewesen ohne Abramowitsch. Viele Beobachter stufen
ihn rückwirkend als Türöffner für das sogenannte Sportswashing in der
Premier League ein.
Durch Abramowitsch ging dem englischen Fußball das Augenmaß verloren. Sein
FC Chelsea war der erste Verein, der sich praktisch nach Belieben eine
Mannschaft aus Superstars zusammenkaufte. Außerdem kultivierten die Blues
die Politik, beim ersten Anzeichen einer Krise den Trainer zu feuern.
Thomas Tuchel ist seit 2003 der 15. Übungsleiter an der Stamford Bridge.
Die Prioritäten des englischen Publikums haben sich mit Abramowitsch
verschoben. Viele Fans finden es gut, mit dem reichsten Eigentümer prahlen
zu können. Moralische Bedenken werden ignoriert. Der Anhang von Newcastle
United sieht die Übernahme durch den Staatsfonds Saudi-Arabiens als
Glücksfall und schwenkt Saudi-Fahnen, trotz kürzlich 81 Hinrichtungen in
dem Land. Viele Chelsea-Fans besingen weiter Abramowitsch. Sie sehen ihn
als „guten Besitzer“, denn er hat Erfolg gebracht.
Der russische Oligarch hat sich stets rar gemacht hat, er hat keine
Interviews gegeben, trat öffentlich kaum in Erscheinung. Zum letzten Mal im
Umfeld des FC Chelsea wurde er Mitte Februar in Abu Dhabi gesichtet, als
der Verein jene Trophäe gewann, die ihm noch fehlte – die Klub-WM. Es gibt
Fotos von Abramowitsch mit dem Silberpokal in der Hand, gütig lächelnd.
Wahrscheinlich ahnte er, dass seine Zeit bei den Londonern in Kürze enden
würde.
Die Sanktionen der britischen Regierung gegen Abramowitsch sind der
Höhepunkt einer Entwicklung. Nach dem Giftanschlag auf den Exagenten Sergej
Skripal in Salisbury gerieten viele reiche Russen in London unter Druck.
Ihr Wohlstand ist in der britischen Hauptstadt so präsent, dass sie auch
„Londongrad“ genannt wird. Mit so enannten goldenen Visa lockte die
Regierung seit den 90ern Investoren aus dem Ausland. Abramowitsch bekam
nach dem Skripal-Fall Schwierigkeiten mit seiner Aufenthaltsgenehmigung,
nahm die israelische und portugiesische Staatsbürgerschaft an und besuchte
praktisch keine Chelsea-Heimspiele mehr. Putins Krieg gegen die Ukraine hat
die Ära Abramowitsch endgültig beendet.
19 Mar 2022
## AUTOREN
Hendrik Buchheister
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