# taz.de -- Schwestern, zur Sonne, zum Comic | |
> Die Bilder des Hamburger Comic-Magazins „Spring“ lassen in der aktuellen | |
> Ausgabe die ganze Ambivalenz des Begriffs „Freiheit“ aufscheinen. Und | |
> zwar aus einer entschieden weiblich konnotierten Perspektive. Das passt | |
> zum aktuellen Diskurs. Unterdessen wächst bereits die Nummer 19 der im | |
> Jahresrhythmus erscheinenden Anthologie | |
Bild: Ja, das Wesen hat menschliche Beine und Brüste. Aber Romy Blümels „Sp… | |
Von Eva Königshofen | |
Freiheitstag, Freiheitsenergie und Marius Müller-Westernhagens | |
Freiheits-Hit auf jeder Querdenker-Demo – das Wort „Freiheit“ ist in Mode, | |
was seine Bedeutung bis in die zynische Beliebigkeit weitet. Dagegen hilft | |
die 18. Ausgabe des Hamburger Comic-Magazins „Spring“, die sich Freiheit | |
zum Thema gemacht hat. Und sich im Vorwort an den Begriff herantastet: „Ein | |
Gefühl von Leichtigkeit, wenn man nach einem langen Winter zum ersten Mal | |
ohne Jacke auf die Straße geht“, das ist nur einer von vielen | |
Definitionsversuchen. | |
Wer aber jetzt denkt, der Magazin-Titel „Spring“ stehe für einen | |
frühlingshaft blumigen Zugriff auf große politische Begriffe, hat sich | |
vertan. Denn „Spring“ heißt nicht nur Frühling, sondern weist auch auf das | |
Springen hin und wo der Sprung ist, ist der Fall, aber auch der Herbst | |
(engl. „fall“) nicht weit. Soll heißen: Das Magazin, das einmal im Jahr | |
erscheint, und zwar im September, trägt die Ambivalenz schon im Namen und | |
das schlägt sich auch im Inhalt nieder. Jede Ausgabe von „Spring“ ist als | |
Anthologie angelegt und versammelt auf circa 200 Seiten Beiträge von mehr | |
als zwölf Autor:innen. Entsprechend unterschiedlich sind die zeichnerischen | |
wie sprachlichen Stile, entsprechend disparat auch der inhaltliche Zugriff | |
auf das Thema der jeweiligen Ausgabe. | |
Derzeit arbeitet das Redaktionskollektiv an der kommenden 19. Ausgabe. Die | |
Arbeitsweise hat sich über die Zeit hinweg bewährt: Seit jeher wird alles | |
gemeinsam intensivst diskutiert und demokratisch entschieden, zuweilen auch | |
ganz bürokratisch mittels Stimmabgabe. Zusammen wird auch beschlossen, | |
welche Gastzeichner:innen eingeladen werden. Zweimal im Jahr versucht | |
die mittlerweile europaweit zerstreute Gruppe sich persönlich zu treffen, | |
um die Arbeiten gemeinsam zu besprechen, zu zeichnen und sich | |
auszutauschen. | |
Hinter „Spring“ steht ein beständig wachsendes Universum von | |
Zeichner:innen und Grafiker:innen, die sich selbst als „weiblich | |
konnotiert“ bezeichnen. Die Kerngruppe wird stets von Gästen begleitet und | |
so haben im Laufe der Jahre über 40 mitunter geradezu gegensätzliche | |
internationale Künstler:innen an „Spring“ mitgearbeitet. Gerade diese | |
Vielfalt macht Spring so besonders: die differenzierte Verhandlung von | |
komplexen Themen, die schon in ihrer Form divers angelegt ist. | |
Die Struktur des Magazins ist es wohl auch, die es den Macher:innen | |
erlaubt, bei der Themenwahl nicht vor den ganz großen Worten | |
zurückzuschrecken. Denn „Frieden“ ist keine Ausnahme: „Sex“ hieß eine | |
Ausgabe, „Arbeit“ eine andere. Aber auch „Wunder“ oder „ABC of Traged… | |
lauten frühere Titel. | |
Seit mit „Nachstellungen“ im Jahr 2004 die erste Ausgabe erschien, folgt | |
jährlich eine neue. Insgesamt achtzehn Hefte, dick wie Bücher, sind es | |
mittlerweile. Und das ist vermutlich nur ein Grund für die Reputation der | |
Anthologie. Denn „Spring“ ist schon lange kein Geheimtipp mehr, hat dabei | |
aber nicht an Do-it-yourself-Charme eingebüßt. Vom Cover bis hin zu den | |
Werbeanzeigen wird alles eigens von den Autor:innen gezeichnet. | |
Für die aktuelle Ausgabe hat Romy Blümel ein Cover entworfen, auf dem die | |
Umrisse eines weißen Flügelwesens zu sehen sind, das zwar menschliche Beine | |
und Brüste hat, aber ansonsten eher an die weiße Friedenstaube auf blauem | |
Grund erinnert. Damit wirkt das Heft gegenwärtig unfreiwillig traurig und | |
aktuell, obwohl bei der Planung der Ausgabe wohl keine der Macher:innen | |
an einen Krieg in der Ukraine gedacht haben dürfte. | |
Der Veröffentlichungstermin liegt immer fast zeitgleich zum Hamburger | |
Comicfestival. Jede neue Ausgabe wird dabei von einer Ausstellung mit | |
Arbeiten der Autor:innen begleitet. Die Ausstellungsorte wechseln von | |
Jahr zu Jahr im Hamburger Stadtraum. Dort in Hamburg war es auch, wo sich | |
das Kollektiv vor fast 20 Jahren gegründet hatte. Aus dem studentischen | |
Kontext der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) heraus | |
entstanden, war es der Gruppe ein Anliegen, ein Pendant zu Magazinen zu | |
schaffen, in denen hauptsächlich Männer darüber entschieden, welche | |
Arbeiten ihrer männlichen Kollegen gedruckt wurden. | |
Von einer stabilen feministischen Agenda zeugen auch die Vorworte der | |
Ausgaben, in denen Fragen nach Sorgearbeit, sexueller Gewalt oder | |
Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum angesprochen werden, um sich dann in | |
den einzelnen Beiträgen zu konkretisieren. Etwa wenn Stephanie Wunderlich | |
in der aktuellen Ausgabe von den Umwegen berichtet, die sie als Jugendliche | |
nehmen musste, weil sie sich nach einem Vorfall sexueller Belästigung nicht | |
mehr durch den Wald vor ihrem Elternhaus traute. Die Zeichnerin Karina | |
Tungari konzentriert sich hingegen auf die Überschneidung von | |
Machtverhältnissen, wenn sie in seitengroßen Panels darüber nachdenkt, | |
inwiefern Freiheit von Geburt an durch die Zuweisung zu einer Nation | |
bestimmt ist. | |
Das Thema für September 2022 steht schon fest: Es geht ums Scheitern. Und | |
zwar auf persönlicher Ebene wie auch ums ökologische Scheitern auf | |
globaler. Außerdem wird es sich um das Scheitern als Denkfigur drehen, als | |
Bewertung von Ereignissen, die immer im Rückblick geschieht und die dabei | |
eng mit der Suche nach einem roten Faden in der eigenen Biografie verknüpft | |
ist. Es geht also auch darum, wie vom Scheitern erzählt wird und werden | |
kann. Es wird, so viel ist schon mal sicher, wieder ein Heft werden, das | |
nicht in Alltagspoetischem stecken bleibt. | |
„Spring #18: Freiheit“: Mairisch-Verlag Hamburg, 224 S., 24 Euro | |
24 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Eva Königshofen | |
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