# taz.de -- Ziemlich weit bis Flensburg | |
> Der Fotograf Andreas Jorns befragte als Artist-in-Residence die Jugend | |
> Föhrs zum Leben in der friesischen Karibik. Das Ergebnis zeigt jetzt das | |
> Museum Kunst der Westküste | |
Bild: Wenn im Winter die Touris die Insel verlassen haben, steigt die Party: We… | |
Von Marc Peschke | |
Als „friesische Karibik“ vermarktet Föhr seine weißen Sandstrände, seine | |
salzhaltige Seeluft: 82 Quadratkilometer mitten im Nationalpark Wattenmeer, | |
die Urlauber:innen hierher locken sollen. Doch was machen eigentlich | |
die jungen Menschen auf einem Eiland mit 16 Inseldörfern ohne | |
Landverbindung? Die Fähre legt im Hauptort Wyk ab. Von da sind es 50 | |
Minuten bis zum „Kontinent“, bis Dagebüll in Nordfriesland. Und von dort | |
nochmal so lange bis Flensburg: Ziemlich weit ist das. | |
Im 2009 eröffneten Museum Kunst der Westküste in Alkersum, das sich stets | |
dem Meer und der Küste widmet, ist nun eine Ausstellung zu sehen, welche | |
diese Frage stellt – und die nach Heimat, nach Zugehörigkeit, nach | |
Zusammenhalt. Der bei Düsseldorf lebende Fotograf Andreas Jorns hat seine | |
Bilder im Rahmen eines Artist-in-Residence-Aufenthalts der | |
Ausstellungsreihe „Made on Föhr“ gemacht. 55 der im Winter 2019/20 | |
entstandenen Porträts zeigt die Schau – die Porträtierten kommen in Zitaten | |
zu Wort: „Heimat kann auch wie ein Hafen sein“, sagt eine 17-Jährige. | |
Die Farb- und Schwarzweißbilder führen uns vor Augen, dass die Insel | |
offenbar kein schlechter Ort zum Leben ist. Fynn spielt Schlagzeug am | |
Strand. Anna und Anni sind mit ihren Pferden unterwegs. Jark wird den | |
bäuerlichen Betrieb übernehmen. Jule trägt friesische Tracht – nur Louisa | |
blickt sehnsuchtsvoll in die Weite. Wird sie die Insel verlassen? | |
Immer wieder haben Fotografen und Fotografinnen versucht, ein Bild der | |
Jugend zu zeichnen. Es gibt die Porträts von Tobias Zielony, der | |
Jugendliche in aller Welt fotografiert hat – vorwiegend jene, die an den | |
Rändern urbaner Zentren leben, in den Vororten, den Banlieues, in Suburbia. | |
Ganze Gruppen von Jugendlichen auf der Straße, auf Parkplätzen, vor ihren | |
Wohnblocks in Newport, Halle-Neustadt, Chemnitz, Winnipeg, Bristol, in der | |
kalifornischen Wüstenstadt Trona oder in Marseille. Sie tun nicht viel, die | |
Porträtierten Zielonys. Sie stehen oder sitzen herum, treffen sich an | |
Tankstellen oder einfach unter einer Straßenlaterne. Mal blicken sie | |
gedankenverloren in die Leere, dann posieren sie, präsentieren ihre | |
Gruppenzugehörigkeit. | |
Ganz anders die Jugend von Föhr: Hier ist vor allem Begeisterung, | |
Engagement, Aktivität! Selten einmal verrutscht hier ein Lächeln. Selten | |
einmal blickt man in den Abgrund der Adoleszenz, sieht man Vereinzelung. | |
Bevor ihn das Museum Kunst der Westküste als Artist-in-Residence einlud, | |
war Andreas Jorns noch nie auf Föhr. Und ganz so einfach war es am Anfang | |
wohl nicht, mit den Jugendlichen in Kontakt zu treten. Doch das änderte | |
sich schnell: „Ich glaube, dass ein ganz wichtiger Aspekt war, als ich das | |
erste Mal mit den Jugendlichen feiern durfte“, hat Jorns in einem Interview | |
erzählt. „Die feiern ja hier in so selbst gebauten Hütten. Da habe ich dann | |
auch ein paar Fotos gemacht. Und das war auch der Moment, wo ich ganz viele | |
von ihnen so richtig kennengelernt habe.“ | |
4.000 Bilder von etwa 100 jungen Menschen hat Jorns binnen einiger Wochen | |
auf der Insel gemacht. Er zeigt die Sphären der Schule und der Freizeit, | |
trifft die Jugendlichen im Klassenraum oder bei ihnen zu Hause, bei der | |
Chorprobe, beim Sport oder am Strand. Die Ausstellung präsentiert eine | |
kleine Auswahl von Momenten, etwa die Weihnachtsfeier im „Ual Fering | |
Wiartshüs“ und Bilder, die beim Neujahrssegeln mit kleinen | |
Optimistenjollen entstanden sind. Wir sehen Annika und Wiebke auf ihren | |
Skateboards in Nieblum, in Schwarzweiß mit viel Bewegungsunschärfe | |
fotografiert, im November 2020. | |
Die Bilder werden in der Ausstellung kommentiert von Zitaten der | |
Jugendlichen – ein ganz wichtiger Aspekt, denn so bekommen die Gezeigten | |
auch eine Stimme. Dennoch stellt das fotografische Medium auch in diesem | |
Fall die klassische Frage: Ist es wahr, was wir hier sehen? Was kann die | |
Fotografie? Legt sie den Kern einer Person wirklich frei? Gibt es | |
Authentizität? | |
Wer nicht nur über die Vor- und Nachteile jugendlichen Insellebens, sondern | |
vielleicht auch über solche Meta-Fragen sinnieren mag, könnte die Fähre | |
nehmen und nachschauen. Man kann diese Ausstellung aber auch mit viel | |
Freude virtuell sehen: Das Museum Kunst der Westküste bietet auf seiner | |
Webseite einen virtuellen Ausstellungsrundgang an. | |
Andreas Jorns: „Inseljugend“ Bis 27. November, Museum Kunst der Westküste, | |
Alkersum auf Föhr | |
8 Jun 2022 | |
## AUTOREN | |
Marc Peschke | |
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