# taz.de -- Aus einer Bagatelle wird Schikane | |
> Die Anmelderin einer Kundgebung gegen Racial Profiling muss 250 Euro | |
> Strafe bezahlen, weil sie nicht rechtzeitig Auflagen verkündet hat. Ihr | |
> Anwalt hält die Regel für unsinnig | |
Bild: Kostet 250 Euro Strafe: die Protestaktion vom vergangenen Jahr | |
Von Paul Petsche | |
Sabine Zetsche soll Strafe zahlen, weil sie auf einer feministischen | |
Kundgebung nicht rechtzeitig die Versammlungsauflagen verkündet hat und die | |
Plastiktüten auf den Mikros nicht häufig genug gewechselt wurden. | |
Die Gruppe „Together we are Bremen“ sieht in dem Verfahren ein Beispiel für | |
die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, wie sie seit ein bis zwei | |
Jahren durch das Ordnungsamt und die Bremer Polizei zunehmend betrieben | |
werde. Die wusste zu Beginn der Kundgebung selbst nicht, welche Auflagen | |
sie durchzusetzen hatte. | |
Etwa 60 Menschen haben sich am Donnerstagmorgen gegenüber dem Bremer | |
Amtsgericht versammelt. Gerade erzählt eine Aktivistin, wie sie in | |
Vorbereitung einer Demo ein „Kooperationsgespräch“ mit der Polizei geführt | |
habe. Dabei sei sie besonders von den männlichen Polizeibeamten respektlos | |
behandelt worden. Man habe sie gedrängt, ihre Route an menschenleere Orte | |
zu verschieben. Sie habe sich durchgesetzt, doch so hart sollte niemand für | |
das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kämpfen müssen. | |
Die Aktivist:innen sind wegen einer Kundgebung am 8. März 2021 vor der | |
Innenbehörde hier. Es ging um Racial Profiling durch das Bremer Standesamt. | |
Sabine Zetsche hatte die Versammlung angemeldet. Später erhielt sie einen | |
Strafbefehl in Höhe von 40 Tagessätzen. Das ist eine Geldstrafe, abhängig | |
vom Einkommen der Angeklagten. Für Zetsche bedeutete das also 1.200 Euro | |
oder 40 Tage Haft. | |
Die Polizei habe versucht, die Kundgebung im Vorhinein einzuschränken, | |
schildert ihr Rechtsanwalt Anatol Anuschewski. So wollte sie die | |
Versammlungsdauer von acht Stunden auf vier kürzen, außerdem sollten die | |
Aktivist:innen von der Straße auf den Grünstreifen verbannt werden. | |
Gegen diese Verfügung klagten die Aktivist:innen vor dem Bremer | |
Verwaltungsgericht mit Erfolg. Trotzdem habe die Polizei zunächst versucht, | |
die Versammlung auf den Grünstreifen zu begrenzen. | |
Die Einsatzleiterin bestätigt, sie habe erst durch Zetsche vom | |
Gerichtsbeschluss erfahren. „Eine souveräne Polizeiführung hätte von da an | |
kleine Brötchen gebacken“, sagt Anuschewski. Die Klage hält er für | |
„beleidigtes Nachtreten“. | |
Laut Versammlungsgesetz müssen die Auflagen den Teilnehmenden vor Beginn | |
der Versammlung mitgeteilt werden. Zetsche hatte das erst getan, nachdem | |
ein anderer Redner eine inhaltliche Begrüßungsrede gehalten hatte. | |
Anuschewski hält dagegen, dass diese Auflage Quatsch sei. Eine Versammlung | |
beginne, sobald Menschen sich versammeln. Wolle jemand vorher die Auflagen | |
verkünden, müsste er oder sie das ohne Publikum tun. In den 20 Jahren, in | |
denen er Versammlungen begleitet habe, sei die Polizei stets pragmatisch | |
vorgegangen. Würde man die Auflage nun wörtlich nehmen, sei es an der Zeit, | |
sie anzufechten. | |
Der zweite Vorwurf lautet, dass erst nach einem Hinweis der Polizei die | |
Plastikabdeckungen auf den Mikros nach jeder:m Redner:in gewechselt | |
wurden. Er wird fallengelassen, nachdem Anuschewski anmerkt, dass Zetsche | |
als Veranstaltungsleitung nicht die Adressatin dieser Auflage sei. Die | |
Staatsanwaltschaft fordert daraufhin bloß noch 30 Tagessätze, also 900 | |
Euro, als Strafmaß. | |
„Ich habe ehrlich gesagt schon lieber geurteilt“, sagt Richter Bockmann. Er | |
erkenne die Problematik der Rechtslage. Aber es sei unmissverständlich, | |
dass es nach dem inhaltlichen Beitrag einer dritten Person zu spät sei, um | |
die Teilnehmenden über die Auflagen der Veranstaltung zu informieren. | |
Ohne den fallengelassenen Vorwurf wegen der Plastikabdeckungen hätte dieses | |
Vergehen aber niemals für einen Prozess ausgereicht. Insofern sei die | |
Situation „schräg“, sagte der Richter. Er habe das kleinste denkbare | |
Strafmaß gewählt. Als Bewährungsauflage müsse Zetsche 250 Euro an ihre | |
eigene Flüchtlingsinitiative spenden. Damit sorgt er im Gerichtssaal für | |
Lacher. | |
Draußen kündigt Anuschewski an, Berufung einzulegen. Zetsche spricht, auf | |
Englisch: „Wir haben heute ein Theater gesehen. Sie nehmen unsere Zeit und | |
unser Geld, sie kriminalisieren uns. Sie diskutieren ewig über | |
Kleinigkeiten während Menschen sterben! Sie werden uns nicht aufhalten!“ | |
18 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Paul Petsche | |
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