# taz.de -- Die beginnende Auflösung des Bildes | |
> Eine kleine Revolution: Wenn die Hamburger Kunsthalle jetzt ihre | |
> Impressionisten ausstellt, lässt sie die üblichen Kategorien und | |
> Nationalismen hinter sich | |
Bild: Pierre Bonnard: „Lampionkorso auf der Außenalster“ (1913) | |
Von Hajo Schiff | |
Wenn Leichtigkeit ein integraler Bestandteil seines Themas ist, sollte ein | |
Text darüber nicht allzu schwer daherkommen. Doch die Neuhängung der | |
impressionistischen Kunst im ersten Stock der Hamburger Kunsthalle wirft | |
durchaus ernsthafte Fragen auf. Zwar scheint der Durchgang durch die fünf | |
Räume zunächst visuell stimmig, aber Direktor Alexander Klar und sein Team | |
sprengen dabei bis heute eigentlich gültige kunstgeschichtliche Grenzen. | |
Denn der weltberühmte Provenzale Paul Cezanne (1839–1906) und die fast 40 | |
Jahre jüngere Hamburgerin Gretchen Wohlwill (1878–1962) in derselben | |
Abteilung? Das ist nicht weniger als eine kleine museologische Revolution. | |
Bisher teils zur französischen Kunst des 19. Jahrhunderts sortiert, teils | |
der „Klassischen Moderne“ zugerechnet, hingen impressionistische Bilder | |
bisher in verschiedenen Abteilungen mit den je eigenen Kustoden Markus | |
Bertsch und Karin Schick. Nun geben etwa 80, teils lange nicht gezeigte | |
Exponate eine Neuerzählung jenseits der üblichen Kategorien und | |
Nationalismen. „Das Impressionistische“ zeigt sich als eine über 60 Jahre | |
in ganz Europa verwendete Ausdrucksform – über die differenzierteren | |
kunsthistorischen Begrifflichkeiten wie die Unterscheidung des frühen | |
Impressionismus und des Postimpressionismus nach 1900 oder die feinsinnig | |
unterteilten diversen Schulen und Personalstile hinaus. | |
Der Begriff „Impressionismus“ wurde im Frühjahr 1874 geprägt, als Claude | |
Monet seine zwei Jahre zuvor gemalte orange-violette, morgendliche | |
Hafenansicht „Impression. Soleil levant“ nannte und erstmals im Pariser | |
Atelier des Fotografen Nadar ausstellte (heute: Musée Marmottan Monet). Und | |
die Kritik verwandte das Wort zuerst vor allem als Schmähbegriff zur | |
Abgrenzung solcher schlecht gemalten Geschmacklosigkeiten von wirklicher, | |
akademisch guter Kunst. Erst recht in Deutschland konnte der neue Stil noch | |
schwerer Akzeptanz finden. Denn das war ja Kunst aus dem 1871 glorreich | |
besiegten Land des „Erzfeindes“ Frankreich. Insbesondere der in diesen | |
Dingen besonders inkompetente, aber meinungsstarke Kaiser und dessen | |
politische Parteigänger lehnten diese Kunst rigoros ab. Das war allerdings | |
eher in Berlin und für die Nationalgalerie ein Problem als im einen Hauch | |
liberaleren Hamburg. | |
## „Eine Art Augenkrankheit“ | |
Auch wenn impressionistische Bildelemente schon in Manierismus und Barock | |
gefunden werden können, musste es tatsächlich erst gelernt werden, diese | |
neuen französischen Bilder zu „lesen“. Auch der erste Direktor der | |
Kunsthalle, Alfred Lichtwark, räsonierte zuerst noch über den notwendig | |
einzuhaltenden Abstand gegenüber dieser ja bloß skizzenhaften, von manchen | |
als „eine Art Augenkrankheit“ beschimpften Malerei. | |
Der spätere Siegeszug des Impressionismus zu einer der bis heute | |
beliebtesten Kunstarten begann langsam. Erstmals 1895 waren in Hamburg | |
Arbeiten von Manet und Monet und weiteren Impressionisten unter den 835 (!) | |
Positionen der zweiten „Frühjahrsausstellung“ von Kunstverein und | |
Kunsthalle zu entdecken. Sie fanden zwiespältige, aber auch positive | |
Erwähnung in der Presse. Hamburg spielte dann durchaus eine Rolle in der | |
Durchsetzung des Impressionismus, was nicht zuletzt am inzwischen | |
überzeugten Alfred Lichtwark lag – und seinen vorzüglichen Beziehungen zum | |
Berliner Malerstar Max Liebermann einerseits sowie seiner Frankophilie | |
andererseits, die ihn zu zahlreichen Besuchen nach Paris führte. So konnte | |
1896 Monets Stillleben „Birnen und Trauben“ angekauft werden. | |
Lichtwark hatte zudem die nirgends sonst verfolgte Idee, dem Publikum neue | |
Malweisen durch die Wahl heimischer Motive vertraut zu machen: Für die 1889 | |
gegründete „Sammlung von Bildern aus Hamburg“ lud er bekannte Künstler ei… | |
vor Ort Hamburger Ansichten darzustellen. So entstanden Bilder der Stadt | |
und ihrer Gewässer: Leopold von Kalckreuths „Heimkehrende Werftarbeiter auf | |
der Elbe“ von 1894 mit dem in einzelne Pinselstriche zerfallenden Wasser | |
oder der zart leuchtende Blick auf die Alster des Dänen Laurits Regner | |
Tuxen. Max Slevoghts Blick über das Nicolaifleet auf St. Katharinen zeigt | |
1905 ein malerisches Gewusel von Arbeitern auf den Schuten, 1902 malt Max | |
Liebermann „Die Terrasse des Hotels Louis C. Jacob in Nienstedten an der | |
Elbe“ mit den Lichtreflexen unter den Linden, 1910 den „Abend am | |
Uhlenhorster Fährhaus“. Den großen, weiten „Blick auf den Köhlbrand“ m… | |
Lovis Corinth 1911, die Alsteransichten der französischen | |
Spätimpressionisten Pierre Bonnard und Edouard Vuillard stammen von 1913. | |
Heute hat sich anscheinend die Dialektik von Inhalt und Form verkehrt: | |
Konnte Corinths großes Bild von Zoodirektor Carl Hagenbeck und der | |
Walrossdame Pallas 1911 seinen Malstil populär machen, gibt es heute bei | |
Führungen durch die Impressionistenräume eher eine Entschuldigung für die | |
Präsentation dieser inzwischen umstrittenen Person. | |
## Freies Spiel mit dem Licht | |
In den fünf thematischen Zusammenstellungen „Ansichten der Stadt“, | |
„Porträt“, „Landschaft“, „Auftritt und Inszenierung“, „Stilllebe… | |
„Pastelle“ glänzt der einst aus dem Realismus entwickelte Impressionismus | |
in Stimmungsmomenten, eingefrorenen Augenblicken aus Alltag und Theater, | |
mit stärker psychologisch aufgefassten als repräsentativen Porträts und dem | |
freien Spiel des Lichts in der von der Industrialisierung bedrängten | |
Landschaft. Und doch scheinen Unterschiede auf: Der französischen Kunst | |
ging es oft um eine fast physikalisch verstandene, mitunter seriell | |
untersuchte Erfassung des Lichts und der Farben. | |
Die Deutschen hielten länger am anekdotischen Motiv fest und interessierten | |
sich noch bis in die 1920er-Jahre für die individuelle Psychologie der | |
Wahrnehmung. Das bestätigte nicht zuletzt die Weiterentwicklung der Kunst: | |
Max Beckmann, die Künstler der „Brücke“ oder der Hamburgischen Sezession | |
kamen aus ihrer jeweiligen impressionistischen Frühphase zum | |
Expressionismus, in Frankreich folgten schon früher der farbtrunkene | |
Fauvismus und der analytische Kubismus. | |
In Hamburgs Kunsthalle sortiert man sich derweil weiter neu: Die Abteilung | |
„Klassische Moderne“ soll nächstes Jahr neu präsentiert werden. | |
„Impressionismus“: bis 31. 12. 23, Hamburg, Kunsthalle | |
24 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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