# taz.de -- Der schmale Grat | |
> Rabih Mroué, bekannt als Theatermacher, setzt in seiner Ausstellung | |
> „Under the Carpet“ im KW Institute for Contemporary seine Analysen fort | |
> über den Gebrauch und Missbrauch von Bildern in Politik und Ideologie | |
Bild: Rabih Mroué, Self Portrait as a Fountain, 2006. Courtesy der Künstler | |
Von Maxie Fischer | |
[1][Rabih Mroué] setzt sich in seinen Arbeiten mit den politischen Unruhen | |
seiner Heimat, dem Libanon und Nahen Osten, auseinander. Seine vielfältige | |
Praxis, die sich über verschiedene Disziplinen und Formate zwischen | |
Theater, Performance und Bildender Kunst erstreckt, reflektiert die Gewalt | |
und Zerstörung, die die Region wiederkehrend zu zerreißen drohen, ohne | |
diese aber unmittelbar zu zeigen. Stattdessen konzipiert er mit Kurator | |
Nadim Samman eine Ausstellung über Blickbeziehungen und die Beschaffenheit | |
von Bildern. | |
Betritt man den Ausstellungsraum, trifft das Auge auf den Lauf eines | |
Gewehres, dahinter das Auge eines Heckenschützen. Oder aber das Auge trifft | |
auf die Linse eines Handys, dahinter das Auge eines Zivilisten. Der | |
16-mm-Film „Eye“ vs. „Eye“ basiert auf den Standbildern von zwei Person… | |
die einander fokussieren. Die Arbeit stammt aus dem Jahr 2012, als der | |
syrische Bürgerkrieg noch als Revolution bezeichnet wurde. Sie | |
veranschaulicht die Macht der Bilder, die eine Person veranlasst zu filmen | |
und die andere, sie dafür zu töten. Die Szenen werden über den kleinen | |
Laufbildbetrachter eines Projektors ausgegeben und eröffnen eine große | |
Ausstellung. | |
In dem sich dahinter ausbreitenden Raum sind eine Reihe neuer Werke zu | |
sehen, für die Mroué mit Material aus Zeitungen arbeitet, das er zu neuen | |
Bildern zusammensetzt. Die großformatige Projektion „Images Mon Amour“ | |
thematisiert die Katastrophe, die die Explosion in einem Lagerraum im Hafen | |
am 4. August 2020 in Beirut auslöste und die den Rücktritt der Regierung | |
zur Folge hatte. Mroué verdichtet die Ausschnitte zu einer monumentalen | |
Collage, in der persönliche und politische Geschichte einander überlagern. | |
Schichten von Bildmaterial schieben sich in einer Endlosschleife von unten | |
nach oben, von dem ersten in das zweite Geschoss der Ausstellung, geraten | |
aus dem Blickfeld, aber kommen immer wieder zurück. | |
Während im ersten Teil der Ausstellung die Bilder selbst dominieren, | |
entfaltet sich im zweiten Teil ein diskursiver Raum über Bilder. Hier sind | |
Mroués performative Vorträge – er nennt sie Non Academic Lectures – zu | |
sehen, die verschiedenste visuelle Materialien einbeziehen und in einem | |
Mahlstrom aus Fakt und Fiktion auf ihre eigentliche Aussage hin | |
untersuchen. Diese komplexen Videoarbeiten, die Mroué ursprünglich als | |
Theaterperformances realisierte, sind Analysen über den Gebrauch und | |
Missbrauch von Bildern für politische und ideologische Zwecke. „On Three | |
Posters“ verhandelt die Bildpolitik der Libanesischen Nationalen | |
Widerstandsfront, während „The Pixelated Revolution“ die Bedeutung von | |
Handyvideos als eine Form politischer Selbstermächtigung untersucht. | |
Die zwei Ebenen der Ausstellung sind vielfältig miteinander verwoben: | |
Besonders eindrücklich ist das Prinzip des Rasters, das als Grundlage | |
technischer Bilder – ob als Pixel, Druckpunkt, Projektion oder Hängung – in | |
der inneren und äußeren Ordnung der Werke durchweg präsent ist. | |
Der Preis für künstlerische Forschung, zu dem diese Einzelausstellung | |
gehört, ist aus dem Kunstpreis der Schering Stiftung hervorgegangen und | |
wurde 2020 erstmalig an Rabih Mroué vergeben. [2][Künstlerische Forschung] | |
ist mit keiner feststehenden Definition verbunden, meint aber die | |
Möglichkeit, durch künstlerische Verfahrensweisen, ähnlich zu den Methoden | |
der etablierten Wissenschaften, Erkenntnisse zu erzeugen. Mroué erforscht | |
die Komplexität und Allgegenwart von Bildern. Seine Arbeiten zeigen, wie | |
grundlegend visuell unser Dasein strukturiert ist. Wir müssen nur die Augen | |
öffnen, schon sind sie da. Wir können nicht anders, als in Bildern zu | |
sehen. Unablässig reißen wir Ausschnitte aus unserer Gegenwart und fügen | |
sie in unser wie auch immer geartetes Weltbild. Selbst wenn wir die Augen | |
schließen, bestimmen die Bilder unser Denken und Fühlen. | |
Das, was Mroués Nachdenken über Bilder deutlich macht, ist ihr prekäres | |
Verhältnis zur Realität, ihr schmaler Grat zwischen Wahrheit und Täuschung. | |
Die Ausstellung ist deshalb so herausragend, weil sie ihre eigenen | |
Überlegungen und Zweifel offenlegt, ohne sich dabei in Selbstreflexivität | |
zu verlieren. Sie zeigt eine ganz eigene ästhetische Ausdrucksweise, die | |
nicht danach verlangt, dechiffriert zu werden, sondern selbst die Bilder | |
dekonstruiert, die uns umgeben – oder uns nie erreichen werden. | |
Mi.–Mo. 11–19 Uhr, bis 1. Mai | |
24 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Maxie Fischer | |
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