# taz.de -- debatte: Weg mit den Straßennamen! | |
> Berlins Straßen tragen häufig die Namen von Antisemiten und Rassisten. | |
> Nicht nur deren Anwohner sträuben sich dennoch gegen eine Veränderung | |
Das Thema wird in manchen Medien mindestens so erregt diskutiert wie | |
gendergerechte Sprache: Wie ist mit Straßennamen umzugehen, die an Personen | |
erinnern, welche sich in der Vergangenheit beispielsweise rassistisch oder | |
antisemitisch geäußert, die sich an Kriegsverbrechen, Raub oder Mord | |
beteiligt haben? Nun könnte man meinen, dass es angesichts der Vorwürfe | |
eine schnelle und einfache Entscheidung gäbe. | |
Doch so einfach ist es leider nicht. Denn was mindestens so alt ist wie die | |
Kritik am Antisemitismus im postnazistischen Deutschland, ist der Versuch, | |
sie zu relativieren. Und vor diesem Hintergrund werden selbst Straßennamen | |
zum erregt diskutierten Politikum. | |
Anders als diejenigen, die in Umbenennungen und Kontextualisierung die | |
Bedrohung der Grundfesten ihrer lokalen oder nationalen Identität vermuten, | |
möchte ich hier entschieden für diesen symbolischen Akt plädieren. Das | |
Straßenbild ist ein Spiegel der Gesellschaft und deshalb stets auch Zeichen | |
ihrer Pluralität. Namen zu ändern bedeutet die Anerkennung einer Gegenwart, | |
in der nicht nur die Erfahrungen von weißen, christlichen, deutschen | |
Menschen zählen. | |
Doch selbst in eindeutigen Fällen beginnt eine aufwändige Abwägung: Ist es | |
Anwohner:innen wirklich zumutbar, dass sie sich einen anderen | |
Straßennamen einprägen müssen? Und was ist mit dem wirtschaftlichen Schaden | |
für so manch ein Unternehmen, das seine eigene Geschichte vielleicht gar | |
nicht so sauber aufgearbeitet hat? Kann diesem zugemutet werden, Geld für | |
neue Briefköpfe auszugeben? | |
Andererseits: Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Personen wie | |
Richard Wagner und Martin Luther für ihr Werk gewürdigt werden, ohne dass | |
die Kritik an ihren antidemokratischen und menschenverachtenden Aussagen | |
Raum findet? Was sagt diese Symbolhaftigkeit über den Umgang mit Ideologien | |
wie Antisemitismus, Rassismus oder Geschichtsrevisionismus in einer | |
demokratischen Gesellschaft aus, die sich doch so sehr dafür rühmt, ihre | |
Geschichte wie keine andere aufgearbeitet zu haben? Schnell werden üble | |
Vergleiche gezogen: Die Umbenennung von Straßen erinnere an den | |
Nationalsozialismus, die DDR oder die Dystopie eines autoritären Staates, | |
wie sie George Orwell in „1984“ gezeichnet hat. | |
Solche Aussagen sind kalkuliert. Statt einer tatsächlichen | |
Auseinandersetzung mit den entsprechenden Personen und ihrer Weltanschauung | |
wird über die Motivation derjenigen diskutiert, die eine Umbenennung | |
empfehlen. Das erinnert an das alte Sprichwort von Kurt Tucholsky: In | |
Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel | |
gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht. Dabei geht es um | |
Aufklärung! Die Wahrheit ist: Antisemitismus und Rassismus werden bei den | |
großen Figuren des deutschnationalen Theaters ebenso ausgeblendet wie die | |
blutigen Kontinuitäten, die bis in die Gegenwart reichen. | |
Adorno bemerkte dazu schon: „Unbestreitbar gibt es im Verhältnis zur | |
Vergangenheit viel Neurotisches: Gesten der Verteidigung dort, wo man nicht | |
angegriffen ist; heftige Affekte an Stellen, die sie real kaum | |
rechtfertigen; Mangel an Affekt gegenüber dem Ernstesten; nicht selten auch | |
einfach Verdrängung des Gewußten oder halb Gewußten.“ Die heftige Abwehr, | |
die dem Berliner Gutachten entgegenschlägt, überrascht wenig. Dass es ein | |
jüdischer Theaterregisseur war, der ebenfalls früh Kritik übte, nehmen | |
viele dankend an. Kaum ein Wortbeitrag kommt ohne Verweis auf den Regisseur | |
aus, obgleich das kein Argument darstellt. | |
Jüdinnen:Juden kennen das nur allzu gut. Statt über Antisemitismus zu | |
sprechen, wird über die Kritik gesprochen oder dass sie unangemessen | |
geäußert wurde (Stichwort Tone Policing). Dabei hat allein die im Gutachten | |
geäußerte Kritik schon das Bewusstsein für Antisemitismus und Rassismus | |
geschärft. Die Abwehr von Umbenennung und Kontextualisierung verläuft | |
zumeist im Muster eines altbekannten politischen Rituals. So erklärt der | |
deutsche Zeithistoriker Peter Longerich: „Auf den Bruch des Tabus folgt der | |
Skandal, und es werden Stimmen laut, die in der Öffentlichkeit vor einer | |
gesellschaftlichen ‚Normalisierung‘ des Antisemitismus warnen – während | |
diejenigen, denen Judenfeindschaft vorgeworfen wird, dies in der Regel | |
entrüstet von sich weisen und sich gegen eine ‚Instrumentalisierung‘ des | |
Antisemitismus […] wehren.“ Luther („Von den Juden und ihren Lügen“) u… | |
Wagner („Das Judenthum in der Musik“) können sich selbst nicht mehr gegen | |
Kritik verteidigen und müssen sich dennoch keine Sorgen machen. Es finden | |
sich immer renommierte Stimmen, die jegliche Kritik an ihnen als Königsmord | |
verwerfen. | |
Neben Luther und Wagner finden sich übrigens auch Mitglieder der | |
antisemitischen Deutschen Tischgesellschaft im Berliner Straßenbild und | |
Heinrich von Treitschke, der Autor des Satzes „Die Juden sind unser | |
Unglück“. Die Kritik hat nur wenig mit „Arroganz“ oder moralischer | |
Überlegenheit zu tun. Sie sollte Folge unserer demokratischen Haltung sein. | |
Kritik an der Gestaltung des öffentlichen Raumes ist der Wachstumsschmerz | |
einer Gesellschaft der Vielen. Weder sogenannte „Judensäue“ an Kirchen noch | |
Antisemit:innen und Rassist:innen im Stadtbild werden künftig | |
unbescholten deutsche Städte prägen dürfen. | |
Diese Kritik fordert das Gründungsversprechen ein, das dieser Staat bis | |
heute nicht erfüllen konnte. Nämlich, dass man aus der Geschichte | |
tatsächlich gelernt habe. Die Liste mit Straßennamen macht deutlich, was | |
viele Menschen gerne verdrängen. Um Antisemitismus und Rassismus konsequent | |
zu begegnen, braucht es mehr als blumige Worte und pastorale | |
Selbstbeweihräucherung. Es braucht eine kritische Auseinandersetzung mit | |
dem Selbstverständnis dieser Gesellschaft. | |
14 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Monty Ott | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |