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# taz.de -- debatte: Israel – ein Apartheidstaat?
> Amnesty International beschuldigt Israel der Apartheid. Wie sinnvoll aber
> ist die Verwendung des Begriffs?
Was ist Apartheid? Blickt man ins Völkerrecht, so lässt sie sich verstehen
als die Ungleichbehandlung zweier Gruppen in einem Staat. Mehr noch: Es
handelt sich um systematische, rassistisch begründete Diskriminierung. Ein
Apartheidstaat kann keine Demokratie sein – er ist ein rassistisches
Herrschaftsprojekt. Ein ebensolches sei Israel, verkündete Amnesty
International nun Anfang der Woche.
Die Zustände, unter denen Palästinenserinnen und Palästinenser leben
müssen, sind so bekannt wie skandalös. Sie werden von der
Menschenrechtsorganisation nochmals akribisch aufgearbeitet. Empirisch ist
an dem Bericht wenig auszusetzen. Aber militärische Überlegenheit und
systematische Diskriminierung ist noch nicht gleich „Rassenherrschaft“ à la
Südafrika. Das Beharren auf populären Labels führt dazu, dass auf den
Apartheidvorwurf einfach der Antisemitismusvorwurf erwidert wird, und eines
in der Diskussion mal wieder untergeht: das reale Leid der
Palästinenserinnen und Palästinenser. Das Verdikt des 278 Seiten starken
Berichts, der auf jahrzehntelangen Recherchen beruht, ist klar. Israel, so
heißt es, „hat den Palästinensern ein System der Unterdrückung und der
Fremdherrschaft auferlegt“. Die palästinensische Bevölkerung werde
systematisch und qua Gesetz diskriminiert. Eine Chance auf gleiche Rechte
gäbe es nicht.
Für die israelische Regierung ist der Bericht antisemitisch. Natürlich
dürfe man Israel, die einzige Demokratie in der Region, kritisieren. Aber
Amnesty verlasse den Boden der Tatsachen und spiele den Antisemiten in die
Hände, so die israelische Regierung. Palästinenser mit israelischem Pass
haben die gleichen Rechte wie jüdische Israelis. Und was die
Palästinenserinnen und Palästinenser in den 1967 besetzten Gebieten angeht:
Aus Gaza sei man schon 2005 abgezogen und die Abriegelung des
Küstenstreifens diene schlicht dazu, sich vor den Raketen der
islamistischen Terrororganisation Hamas zu schützen, so die Regierung. Und
dass das Autonomieexperiment für die Palästinenser im Westjordanland
fehlgeschlagen ist, sei nicht Israel anzukreiden.
Was ist nun von der ganzen Sache zu halten? Neu ist die Debatte um den
Apartheidbegriff nicht. Palästinenserinnen und Palästinenser, die in der
deutschen Diskussion über den Konflikt nur selten vorkommen, machen seit
Jahrzehnten auf ihre Lebensbedingungen aufmerksam. Zu leugnen ist die
systemgewordene Ungleichheit nicht, aber eine Gleichsetzung mit der
Apartheid in Südafrika ist unangebracht. Es geht um die Begrifflichkeit –
und damit auch um das Wesen des Konflikts zwischen Israelis und
Palästinensern. Amnesty International definiert Apartheid nach
internationalem Recht und nicht nach historischem Vorbild. Der Bericht
macht aus Israel kein Südafrika. Aber in der öffentlichen Debatte kommt nur
das Schlagwort an, nicht die Analyse dahinter. Das weiß Amnesty. Und
munitioniert damit auch jene, die in Israel nichts weiter als einen
rassistischen Kolonialstaat sehen wollen.
Außerdem beruhen die Apartheiddefinitionen des internationalen Rechts, zum
Beispiel die des Römischen Statuts, auf der historischen Erfahrung des
Apartheidregimes in Südafrika. Der jüdische Staat wird damit in die Nähe
des südafrikanischen Apartheidstaats gerückt, dessen Ideologie mit
derjenigen der Nazis seelenverwandt war. Für die Verteidiger Israels,
gerade auch in Deutschland, ist das ein rotes Tuch. Denn die Idee eines
jüdischen Staates entstand nicht deswegen, weil man sich die Araber in
Palästina unterwerfen wollte. Sie entstand, weil die Zionisten in der
Gründung eines eigenen Staates den einzigen Ausweg aus dem europäischen
Antisemitismus sahen. Auch der Zionismus des frühen 20. Jahrhunderts konnte
sich nicht vorstellen, welche Barbarei wenige Jahre später von Deutschland
ausgehen sollte. Die Shoah bleibt, ex-post-facto, das schwerste Argument
für den jüdischen Staat.
Auch vor diesem Hintergrund möchte das deutsche Büro von Amnesty
International den Bericht nicht bewerben. Die Position ist nachvollziehbar:
zu gewinnen ist mit der Debatte wenig. In Deutschland bilden die
Nahostdebatten mehr prekäre Befindlichkeiten ab als die Realitäten der
Region, um die es eigentlich gehen sollte.
Was ist nun von dem Streit um den Amnesty-Bericht zu halten? Der
israelische Soziologe Baruch Kimmerling schrieb dazu schon im Jahre 2008,
dass die Zustände zwischen Jordan und Mittelmeer eigentlich viel schlimmer
seien als in einem Apartheidstaat. Israelis und Palästinenser, so
Kimmerling, befänden sich in einem Nullsummenspiel um dasselbe Territorium.
Weil Israel in diesem Kampf ums Ganze die militärische Oberhand hat, führt
das zu einer systematischen Ungleichbehandlung der palästinensischen
Bevölkerung. Und weil die Palästinenserinnen und Palästinenser militärisch
unterlegen sind, bleibt ihnen als Munition vor allem das moralische
Argument. Wer das Land nicht gewinnen kann, dem bleibt nur der Kampf ums
Narrativ.
In dieser Lesart ist die alltägliche Drangsalierung der Palästinenser nicht
in erster Linie das Resultat einer rassistischen Kolonialideologie, sondern
die Folge eines Konflikts zweier verfeindeter Nationen um dasselbe Land.
Das, was Amnesty International Apartheid nennt, sind in dieser Betrachtung
die Resultate der israelischen Überlegenheit in einem gnadenlos geführten
und hochgradig emotionalisierten Krieg. Die simple Konfliktformel „zwei
Nationen – ein Territorium“ hat den Vorteil, dass sie ohne den
Apartheidbegriff auskommt, ohne aber die schon seit Jahrzehnten andauernde
Entrechtung der palästinensischen Seite auszuklammern. Denn egal wie man
die Zustände zwischen Jordan und Mittelmeer nun nennen mag: ändern müssen
sie sich.
10 Feb 2022
## AUTOREN
Daniel Marwecki
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