# taz.de -- Dem Vergessen entrissen | |
> Sie waren angesehene Juristen, sammelten Kunst und waren eng mit der | |
> Hamburger Kunsthalle verbunden. Nach 1933 wurde die Sammlung Wolffson aus | |
> der Erinnerung verdrängt, weil die Familie als jüdisch galt. Jetzt | |
> beleuchtet die Ausstellung „Von Menzel bis Monet“ die bislang noch kaum | |
> erforschte Sammlung | |
Bild: Gemalt vom damals berühmtesten Maler Deutschlands: Max Liebermanns Portr… | |
Von Hajo Schiff | |
Wie soll es benannt werden, wenn Ute Haug, die Provenienzforscherin der | |
Hamburger Kunsthalle, eine historische Sammlung dem Vergessen entreißt: | |
Revision wird nicht mehr im lateinischen Wortsinn verstanden, Entschädigung | |
ist zu materiell, Wiedergutmachung ist zu paternalistisch und überdies | |
paradox. Erinnerung wäre passend, aber aus der wurde alles einst | |
vorsätzlich verdrängt. Doch es gibt noch die Archive. Und so kann die | |
Geschichte mühsam neu erzählt werden. Das Thema ist die einst bewunderte | |
und vielfach mit der Kunsthalle verknüpfte Hamburger Sammlung Wolffson: Der | |
Titel der ihr gewidmeten Kabinettausstellung „Von Menzel bis Monet“ lässt | |
die Qualität schon ahnen. | |
Büsten, Fotos und Porträtbildnisse führen in die Kaiserzeit und machen ein | |
damals ganz selbstverständlich auch jüdisch geprägtes, großbürgerliches | |
Leben anschaulich. Die meisten Mitglieder der Familie Wolffson waren | |
Juristen, besonders berühmt wurde der Reichstagsabgeordnete Dr. Isaac | |
Wolffson: Er war zentral an der Formulierung der 1877 verabschiedeten | |
Reichsjustizgesetze beteiligt, die in wesentlichen Teilen noch heute | |
Gültigkeit haben. Eine Prachtausgabe der Gesetze mit allegorisch | |
historistisch verziertem schweren Silbereinband mit Goldornamenten, mit | |
einem Bildrelief der Justitia nach Raffael und vier Kaisermedaillons | |
erhielt er in Anerkennung seiner Leistungen. Das Ehrengeschenk, ein Entwurf | |
aus dem Atelier des Hamburger Rathaus-Architekten Martin Haller, dessen | |
Umsetzung von Justus Brinckmann, dem ersten Direktor des Museums für Kunst | |
und Gewerbe, beaufsichtigt wurde, glänzt hier in einer Vitrine und zeigt | |
deutlich den herausragenden Status des jüdischen Juristen in der Hamburger | |
Stadtgesellschaft. | |
Die Kunstsammler aber, um die es hier vorrangig geht, sind dessen Sohn | |
Albert Wolffson (1847–1913) und seine Frau Helene (1848–1925). Auch er war | |
ein erfolgreicher Anwalt, er war im Aufsichtsrat von Banken und von 1880 | |
bis 1910 Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft. Dort und als Mitglied des | |
„Comité für die Sammlung von Bildern aus Hamburg“ und der „Kommission f… | |
die Verwaltung der Kunsthalle“ und weiterer Kunstinstitutionen unterstützte | |
er die Kunst ideell und materiell und stärkte in der Auseinandersetzung um | |
die moderne Kunst – das meinte damals den impressionistischen Stil – meist | |
die Positionen des befreundeten Direktors Alfred Lichtwark. Umgekehrt | |
beriet der Kunsthallendirektor ihn beim Aufbau seiner Sammlung und machte | |
ihn mit Max Liebermann bekannt, der dann 1906 sein Porträt malte. Der | |
damals 59-jährige Präsident der Berliner Secession war zu dem Zeitpunkt | |
sicherlich der berühmteste Maler Deutschlands. Schon 1891 hatte er auf | |
Anregung Lichtwarks Bürgermeister Petersen porträtiert – das Bild erregte | |
damals aber noch starkes Missfallen. | |
Die Sammlung Wolffson hatte einen unüblichen Fokus auf Arbeiten auf Papier. | |
Sie umfasste über 800 Zeichnungen, Kupferstiche, Radierungen und | |
Lithografien sowie 74 Gemälde und Pastelle von Künstlern des Naturalismus, | |
Realismus und Impressionismus. Da alles inzwischen zerstreut ist, geben | |
stellvertretend einige Blätter aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle | |
einen Eindruck der vormals in der Sammlung befindlichen, nach den | |
Inventarlisten bekannten Stücke. Gezeigt werden neunmal Grafik aus Hamburg, | |
15-mal aus Deutschland und als Schwerpunkt neun Arbeiten von Max | |
Liebermann. Aber auch Frankreich, England und der Norden sind vertreten. | |
Das für die damalige Zeit modernste Blatt darunter ist eine | |
Kreidelithografie von Munch: eine Parkansicht mit abstrahiert dargestellten | |
Bäumen. | |
Dass eines der Gemälde Claude Monets zur Waterloo Bridge von 1902 ein | |
Glanzstück der Sammlung war, schien klar schon beim Ankauf aus dem | |
Kunstsalon Paul Cassirer 1904. Die Wolffsons bestimmten es fünf Jahre | |
später zum Vermächtnis an die Kunsthalle. Aber nach dem Tod Albert | |
Wolffsons, dem Tod von zweien der drei Söhne im Weltkrieg und den | |
politischen Änderungen und wirtschaftlichen Problemen der Weimarer Republik | |
musste die Kunsthalle das Werk dann 1924 von der Witwe ankaufen, ebenso wie | |
schon ein Jahr zuvor drei Zeichnungen von Menzel. Nur ein weiteres Bild | |
Monets befindet sich bis heute in der Sammlung der Kunsthalle: Es ist das | |
Stillleben „Birnen und Trauben“ von 1880. Auch hier hatte Wolffson als | |
Mitglied des „Vereins der Kunstfreunde von 1870“ beim Ankauf mitgewirkt. | |
Die beiden Monets werden aber nicht in der Kabinettausstellung gezeigt, | |
sondern hängen prominent in der gerade neu präsentierten | |
Impressionisten-Abteilung. | |
Zu Lebzeiten Wolffsons am meisten beachtet wurden seine 36 Handzeichnungen | |
des Berliner Realisten Adolph von Menzel (1815–1905). Neun davon bilden | |
jetzt das Kernstück der Ausstellung, sie sind sogar der eigentliche Anlass. | |
Denn obwohl schon vor 1933 die Erben Teile der Sammlung aus | |
wirtschaftlichen Gründen umfänglich verkauften, gerieten sie nach 1933 | |
unter immer stärkere Repressalien des NS-Staates. 1938 kam Alfred Wolffsons | |
Sohn Ernst Julius ins KZ Sachsenhausen, die Menzelzeichnungen kamen an den | |
zwielichtigen Hamburger Kunsthändler Hildebrand Gurlitt. Der nach den irren | |
NS-Rasseregeln als „Vierteljude in Mischehe“ klassifizierte Ernst Julius | |
Wolffson kam nach einigen Wochen wieder frei. Einige der Menzelzeichnungen | |
kamen dann 2012 im juristisch bis heute umstrittenen, sogenannten | |
„Schwabinger Kunstfund“ des Gurlittsohns Cornelius wieder zum Vorschein. | |
Nach verschiedenen Restitutionen von sechs Zeichnungen an die Erben der | |
Familie haben die dann diese der Hamburger Kunsthalle als Dauerleihgabe | |
überlassen. Und so kann die Öffentlichkeit wieder staunen, wie mit bloß | |
einem Grafitstift auf Papier das flirrende Sommerlicht unter den Bäumen vor | |
einem Landhaus einzufangen ist. Mag die Rückgabe verfolgungsbedingt | |
entzogener Werke ein materieller Korrekturversuch an geschichtlichem | |
Unrecht sein, die öffentliche Erinnerung an die willkürlich gebrochenen | |
Leben ist vielleicht noch wichtiger. So seien diese Memorialausstellung | |
und das begleitende Buch empfohlen. | |
„Von Menzel bis Monet. Die Hamburger Sammlung Wolffson“: bis 27. 3., | |
Kunsthalle Hamburg, Harzen-Kabinett. Freier Eintritt bis 25 Jahre, es gilt | |
2G+ | |
3 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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