# taz.de -- Frischluft und Freibad statt Schnellstraße | |
> Ein Revival für den Nürnberg-Fürther-Stadtkanal? Bei der Verkehrswende | |
> muss man groß denken und viele Veränderungsmöglichkeiten schaffen, sagt | |
> der gleichnamige Verein | |
Bild: Utrecht macht es vor: So ähnlich könnte es auch an der Nürnberg-Fürth… | |
Von Jo Seuß | |
Wenn Theobald Fuchs und Klaus Wechselberger kurz vor der Nürnberg-Fürther | |
Stadtgrenze am Rand der Fürther Straße stehen, packt sie das kalte Grausen. | |
So gnadenlos grau, laut und hässlich ist das Grenzgebiet, das bis Ende der | |
1950er Jahre eine kleine Idylle rund um den alten Ludwigskanal war. Dann | |
wurde aus dem schmalen Wasserbett schrittweise eine dicke Verkehrsader für | |
Autos gemacht, die stark ins Stadtbild eingreift. | |
Dieser Frankenschnellweg passte zur Philosophie der autogerechten Stadt, | |
die in vielen Metropolen zur Aufführung kam. Er hatte jedoch einen Haken: | |
Er führte mitten nach Nürnberg rein, zog immer mehr Verkehr an und sorgte | |
für reichlich Staus – vor allem vor zwei Kreuzungen, die die Stadtautobahn, | |
die juristisch keine sein durfte, unterbrachen. Seit fast 25 Jahren wird | |
der kreuzungsfreie Ausbau geplant, begleitet von Diskussionen, | |
explodierenden Kosten (von 200 auf mittlerweile 660 Millionen Euro) und | |
Klagen von Naturschützern, die den Startschuss unkalkulierbar verzögern. | |
Das Hickhack nervt emissionsgeplagte Anwohner:innen, besonders im | |
Nürnberger Westen. Etwa den Physiker Theobald Fuchs und den | |
Landschaftspfleger Klaus Wechselberger. Auch wenn der Freistaat Bayern vier | |
Fünftel der Gesamtkosten übernehmen wird, bezweifeln Fuchs und | |
Wechselberger den Sinn des Vorhabens. Deshalb suchten sie mit | |
Gleichgesinnten nach einem Hebel für einen echten ökologischen Umbau. Sie | |
fanden ihn mit dem Kanal, der mehr als ein Revival erleben soll. | |
Vor einem Jahr wurde zu siebt per Skype der Verein Nürnberg-Fürther | |
Stadtkanal gegründet. Inzwischen sind es 29 Mitglieder, die an einem | |
radikalen Konzept feilen. Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) | |
erfuhr Anfang April 2021 von der Idee, die für ihn „einigen Charme“ hat. | |
Biete die Rückkehr eines zehn Kilometer langen Kanals auf der Trasse des | |
heutigen Frankenschnellwegs zwischen Gartenstadt und Doos doch viele | |
Ansätze für Veränderungen. | |
„Es hat nur Vorteile“, finden Fuchs und Wechselberger: Frischluftschneisen, | |
Platz für Freizeit und Freibäder, breite Radschnellwege und gut tausend | |
Kleingärten. Und: Beim Nachrechnen kommt Fuchs auf rund 40 Hektar Fläche, | |
die für neue Wohnviertel frei würden. Speziell an der Stadtgrenze könne | |
eine große Siedlung entstehen, wo heute wertvolle Flächen vergeudet werden. | |
1,50 Meter tief und zehn Meter breit soll der neue Kanal werden. Bauen will | |
man ihn „ohne viel Aufwand“, am besten von den Menschen selbst in | |
Eigenarbeit, was ein bisschen abenteuerlich klingt. Als Zweck des Vereins | |
nennt die Satzung „die treuhänderische Verwaltung der Wasser- und | |
Uferflächen des Gebietes des Nürnberg-Fürther Stadtkanals“. Der Verein soll | |
diese Flächen „einer kleingärtnerischen, landwirtschaftlichen, | |
unternehmerischen, touristischen oder sonstigen Nutzung durch Verpachtung | |
zuführen“. Sogar ein Wasserkraftwerk nahe der Stadtgrenze ist eingeplant. | |
Der Ansatz des Vereins überzeugte Peter Mühlenbrock vom Verkehrsclub | |
Deutschland (VCD) schnell. Er schlug den Stadtkanal-Verein für den taz | |
Panter-Preis 2021 vor. Der gewann den mit 5.000 Euro dotierte | |
Publikumspreis. Mit dem Geld will man vor allem neue | |
Unterstützer:innen gewinnen. Im ersten Halbjahr 2022 werden Fachleute | |
eingeladen, mit Hilfe von VCD und Stadträt:innen will man erreichen, | |
dass die Planungsgruppe des Servicebetriebs Öffentlicher Raum (Sör) ein | |
Alternativkonzept zum Ausbau des Frankenschnellwegs erarbeiten kann – auf | |
Basis der Vision eines Nürnberg-Fürther Stadtkanals. | |
„Wir brauchen den Diskurs“, weiß Fuchs. Vor allem die Frage, wie das | |
Verkehrsaufkommen umverteilt werden kann, ist nicht so einfach zu | |
beantworten. Verbesserte Nahverkehrsangebote und attraktive Radrouten | |
sollen gut ein Drittel der heutigen Autofahrer:innen zum Umsteigen | |
bewegen. Auf dem Kanal könnten nach dem Vorbild Venedigs auch öffentliche | |
VAG-Boote unterwegs sein. Eine wichtige Rolle spielt der Kanal außerdem als | |
Wasserspeicher bei Starkregen. | |
Obwohl zehn neue Fußgängerbrücken für 50 Millionen Euro entstehen sollen, | |
sind sich Fuchs und Wechselberger sicher, dass ihr Vorhaben deutlich | |
billiger wäre als das Straßenprojekt. Das befürworten aber 74 Prozent der | |
Bevölkerung laut einer ADAC-Umfrage, die Ende November 2021 veröffentlicht | |
wurde. Für OB König „steckt der Teufel im Detail“, da die Trennungswirkung | |
des Frankenschnellwegs „auch deswegen so stark ist, weil direkt parallel | |
eine der wichtigsten Bahnstrecken Europas verläuft“. | |
Da vermutlich „vier bis sechs Gleise“ zusätzlich kommen müssten, bliebe | |
„kaum Raum für die vielen interessanten Bürgerprojekte übrig“, findet | |
König, zudem sollte der Verkehr nicht in andere Stadtteile verlagert | |
werden. Sein Fazit: „Die Idee passt nicht zur Wirklichkeit. Utopien haben | |
die Aufgabe, Wirklichkeit passend zu machen. Ob das hier gelingt, also ob | |
sich der Individualverkehr in solch großem Maß minimieren lässt, bezweifle | |
ich.“ | |
Fürths Stadtoberhaupt Thomas Jung (SPD) gibt einem neuen Stadtkanal „nicht | |
den Hauch einer Umsetzungschance“. Er schätzt im Gegenteil, dass die | |
Bevölkerung bei einer Entscheidung pro Kanalbau statt der Autostraße vom | |
„dümmsten Bauwerk seit dem Turmbau von Babel“ reden würde. | |
„Einen solch grundlegenden Wandel“ hält auch die Grünen-Landtagsabgeordne… | |
Verena Osgyan ohne neue politische Mehrheiten „für nicht realistisch“. Das | |
Konzept wirke aber „auf alle Fälle durchdacht und spannend“. Die Grünen | |
fordern seit Jahren eine Abkehr von den „verkehrspolitisch völlig | |
unsinnigen“ Frankenschnellweg-Plänen. Schließlich seien diese längst „aus | |
der Zeit gefallen“. Osgyan geht momentan davon aus, dass die Ausbaupläne | |
„über kurz oder lang einen stillen Tod sterben werden“. | |
Dass ein neuer Stadtkanal in den nächsten 10 oder 20 oder 50 Jahren | |
Wirklichkeit wird, glaubt Osgyan nicht, eher in den nächsten 100 Jahren. | |
„Aber wer weiß?“ Fuchs und Wechselberger zeigen derweil auf Leipzig, | |
Potsdam oder Kiel, wo Kanäle zum Alltag der Städte gehören, aber auch auf | |
Seoul und Utrecht. Breite Autostraßen sind hier verschwunden, Kanäle und | |
Flussarme wieder zum Vorschein gekommen. Sehr zur Freude von Einheimischen | |
und Tourist:innen. | |
1 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Jo Seuß | |
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