# taz.de -- nordđŸthema: Sie kennen aber doch ihre Pappenheimer | |
> Im neuen virtuellen Haus des Jugendrechts in Bremerhaven wollen Polizei, | |
> Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe besser zusammenarbeiten. Das | |
> Konzept ist weit verbreitet und wenig erforscht â die Datenlage ist dĂŒnn, | |
> auch in StÀdten, in denen die Institution ein echtes Haus hat | |
Bild: In Mannheim gibt es das âHaus des Jugendrechtsâ schon seit 2015 â u… | |
Von Lisa Bullerdiek | |
Die Strafe soll auf dem FuĂe folgen: ein guter Vorschlag fĂŒr | |
Jugendrecht-Bingo. Gerade kann man den Satz auch in Bremerhaven viel hören. | |
Denn dort wurde am 12. Januar ein sogenanntes virtuelles Haus des | |
Jugendrechts eröffnet. Eine Mitarbeiterin aus dem Justizressort Bremen soll | |
in Zukunft zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und | |
dem Jugendamt vermitteln. Vielleicht sind spÀter auch Schulen oder | |
Jobcenter mit dabei. So kann sich zum Beispiel die Polizei an die Stelle | |
wenden, wenn sie eine bestimmte Person mehrfach bei Straftaten erwischt | |
hat. Dann kann das Jugendamt möglicherweise weiterhelfen, mit der Person | |
sprechen und Schlimmeres in Zukunft verhindern. Polizei, | |
Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft ziehen aber nicht unter ein Dach | |
wie zum Beispiel in Stuttgart. Das virtuelle Haus ist ein BĂŒro. | |
âCommunity Courtsâ aus den USA sind das Vorbild fĂŒr HĂ€user des Jugendrech… | |
in Deutschland. 1993 zum ersten Mal in New York am Times Square eröffnet, | |
sollte es die JugendkriminalitÀt bekÀmpfen, vor allem DiebstÀhle und | |
Drogendelikte. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht arbeiteten in einem | |
GebÀude mit Sozialarbeiter*innen zusammen. In Deutschland öffnete | |
das erste âHaus des Jugendrechtsâ 1999 in Stuttgart-Bad Cannstatt. | |
Mittlerweile gibt es sie in zehn BundeslĂ€ndern: ĂŒber 40 reale HĂ€user und | |
neun virtuelle. Diese Informationen haben die Kriminologen Leon Lohrmann | |
und Marcus Schaerff von der UniversitĂ€t MĂŒnster in ihrem Artikel âHĂ€user | |
des Jugendrechts â ein bundesweiter Ăberblickâ zusammengetragen. | |
Grund fĂŒr das Haus oder eher BĂŒro in Bremerhaven ist der Koalitionsvertrag | |
von SPD, CDU und FDP in Bremerhaven, Seite 23: âWir werden die Einrichtung | |
eines âHaus des Jugendrechtsâ prĂŒfen, in dem straffĂ€lligen Jugendlichen | |
zeitnah die Konsequenzen ihres Handelns aufgezeigt werdenâ, steht dort. Zum | |
Zeitpunkt der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages hÀtte es auch eine Art | |
Jugendbande in Leherheide gegeben, sagt Matthias Koch gegenĂŒber der taz. Er | |
ist der Pressesprecher der Bremer Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD). | |
Die seien jetzt aber weg, die Zahlen seit Jahren rĂŒcklĂ€ufig. In etwa 1.700 | |
bis 1.900 FĂ€llen habe die Bremerhavener Polizei im letzten Jahr gegen | |
Jugendliche ermittelt. Das sei auch im Vergleich zu gleich groĂen StĂ€dten | |
nicht viel. | |
âHĂ€user des Jugendrechts sind oft politische Leuchtturmprojekteâ, sagt | |
Kriminologe Lohrmann gegenĂŒber der taz. HĂ€ufig werde die Errichtung des | |
Hauses nicht vom tatsÀchlichen Ausmaà der JugendkriminalitÀt abhÀngig | |
gemacht. Ein Beispiel dafĂŒr, sagt er, sei Dresden. Dort sei die Stadt gegen | |
den Aufbau eines Hauses gewesen, ebenso der Jugendhilfeausschuss. Es wurde | |
trotzdem eröffnet. MinisterprÀsident Michael Kretschmer (CDU) wollte es so. | |
In Bremerhaven sei das anders, sagt Bruno Benthe, dortiger Abteilungsleiter | |
des Jugendamts. Vor Unterzeichnung des Kooperationsvertrags habe er auch in | |
seinem Haus nachgefragt, ob seine Kolleg*innen noch enger mit den | |
anderen Stellen kooperieren möchten. âUns als Jugendgerichtshilfe ist es | |
wichtig, dass wir Abrutschen in die KriminalitĂ€t verhindern.â | |
Das bestĂ€tigt Knut Zimmer von der Polizei Bremerhaven: âWir haben schon | |
seit ungefÀhr 20 Jahren Sachbearbeiter mit Àhnlichen Aufgaben. Die hatten | |
seit jeher einen guten Draht zum Jugendamt, zur Jugendhilfe und zur Justiz. | |
So ist es aber noch koordinierter und standardisierter.â Auch die Polizei | |
wolle natĂŒrlich Straftaten verhindern. | |
Aber hilft das wirklich? Marcus Schaerff, Kriminologe in MĂŒnster, kann das | |
nicht bestĂ€tigen. âDie Datenlage ist sehr dĂŒnn. In den einzelnen HĂ€usern | |
werden teilweise nur wenige Daten gesammelt, die in manchen FĂ€llen auch nur | |
schwer fĂŒr die Wissenschaft zugĂ€nglich sind.â Deshalb könne man fĂŒr die | |
Jugendlichen gar nichts nachweisen, auch nicht, dass HĂ€user des | |
Jugendrechts Straftaten verhindern. âMan könnte annehmen, dass die | |
gemeinsame Unterbringung etwas zur Verfahrensbeschleunigung beitragen | |
kannâ, sagt Schaerff, âund auch möglicherweise die Kommunikation unter den | |
Beteiligten verbessern könnte. FĂŒr die Mitarbeiter Ă€ndert sich dadurch | |
vielleicht schon etwas.â Bisher hat sich kaum ein Haus des Jugendrechts, ob | |
virtuell oder nicht, einer wissenschaftlichen Analyse gestellt. Dabei gibt | |
es sie in Deutschland seit ĂŒber 20 Jahren.Auch in Bremen sei das nicht | |
vorgesehen, sagt Bruno Benthe vom Jugendamt. Nach zwei Jahren evaluiere die | |
Koordinationsstelle das Projekt. | |
Der Nutzen von HĂ€usern des Jugendrechts ist also fraglich. âMan schafft | |
eine Institution, in der die Leute die gleiche Arbeit machen wie vorherâ, | |
sagt Kriminologe Lohrmann, âallerdings mit möglicherweise zusĂ€tzlichen | |
Risiken wie der Stigmatisierung von Jugendlichen und einer Belastung des | |
VertrauensverhĂ€ltnisses zwischen Jugendhelfer und Jugendlichen.â Besonders | |
kritisch sei es, verschiedene Institutionen mit ganz unterschiedlichen | |
Zielen zu vermischen. In realen HÀusern des Jugendrechts könne das zu | |
Problemen fĂŒhren, weil Daten neben dem Kopierer oder beim Kaffee | |
weitergetragen werden. Oder die Polizei könne Druck machen, etwas ĂŒber eine | |
jugendliche Person weiterzugeben. In wissenschaftlichen Untersuchungen, | |
sagt Lohrmann, sehe man in solchen FĂ€llen, dass die | |
Strafverfolgungsbehörden oft sehr dominant sind. | |
Das zeige sich auch an Darstellungen in den Medien. âDa steht dann zum | |
Beispiel: Das Haus des Jugendrechts nimmt die Ermittlungen aufâ, sagt | |
Lohrmann, âund das ist ein fragwĂŒrdiges Signal, da ein Haus des | |
Jugendrechts keine Strafverfolgungsbehörde ist.â Die Jugendlichen mĂŒssen | |
den Sozialarbeiter*innen vertrauen können. Das sei die Grundlage | |
ihrer Arbeit. | |
Einen gemeinsamen Kopierer oder zusammengelegte Weihnachtsfeiern gibt es im | |
virtuellen Haus des Jugendrechts nicht. âEin virtuelles Haus ist eine gute | |
Lösungâ, sagt Bruno Benthe. Aus anderen StĂ€dten habe er viel von guter | |
Zusammenarbeit gehört, aber auch von den Risiken. âWenn jemand erst mal | |
durch die Polizeistation laufen muss, um zu uns zu kommen, ist das | |
natĂŒrlich nicht so gut.â | |
21 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Lisa Bullerdiek | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |