# taz.de -- Deutsche Mitläufer | |
> Selbst die Verantwortlichen im Nationalteam rechnen die Chancen aufeine | |
> Medaille bei der Handball-EM in der Slowakei und Ungarn klein | |
Bild: Erfahrener Rammbock: Deutschlands Patrick Wiencek (l.) im Angriff gegen F… | |
Aus Wetzlar Frank Ketterer | |
Philipp Weber war der Erste, der von einer Tüte sprach, also einer | |
Wundertüte. Gleich nach dem 35:34-Sieg der deutschen Handballer am | |
vergangenen Sonntag war das der Fall. Frankreich ist Rekord-Olympiasieger, | |
also das handballerische Nonplusultra, Deutschland dagegen zumindest | |
derzeit eher ein, nun ja, Underdog. Allzu große Hoffnungen, dass die | |
Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason bei der an diesem Donnerstag | |
beginnenden Europameisterschaft in der Slowakei und Ungarn um die | |
vordersten Plätze mitspielt, brauchte man sich bislang nicht zu machen. | |
„Wir sind kein Kandidat für eine Medaille“, stellte Gislason gleich | |
mehrfach fest. | |
Daran dürfte auch der Überraschungserfolg gegen die Franzosen nichts | |
geändert haben, schließlich war es „nur ein Sieg in einem Testspiel“, wie | |
Kreisläufer Patrick Wiencek wusste. Gut fürs Gemüt der DHB-Männer war der | |
Erfolg dennoch. Laut Spielmacher Weber starten sie nun nicht mehr nur als | |
Underdog ins Turnier, sondern als Wundertüte. Andreas Michelmann, Präsident | |
des Deutschen Handball-Bundes, war vorm Abflug nach Bratislava bemüht, den | |
Ball flach zu halten. „Wichtig ist, dass die Mannschaft sich nach dem | |
Umbruch aufeinander einstellt und einspielt“, sagte er. Die Vorrunde, in | |
der Belarus, Österreich und Polen Gegner sind, sollte schon irgendwie | |
überstanden werden, man ist schließlich Deutschland, also Handballland. | |
Aber danach? „Danach müssen wir mal sehen, wie weit wir kommen.“ | |
Es scheint dies unvermindert eine ziemlich kluge Einschätzung der Lage zu | |
sein, eine realistische obendrein. Nicht zuletzt ein erster Blick auf den | |
Kader legt dies nahe. Für neun der 19 Spieler ist es das erste | |
internationale Großereignis, nur vier – Mannschaftskapitän Johannes Golla, | |
Patrick Wiencek, Lukas Mertens und Spielmacher Philipp Weber – spielen in | |
einem der drei erstplatzierten Teams der Bundesliga. Der Rest kommt – wie | |
etwa das Melsunger Rückraumtrio Kai Häfner, Timo Kastening und Julius Kühn | |
– aus der eher zweiten Reihe. Oder aus der zweiten Liga (Julian Köster) – | |
und aus Portugal (Djibril M’Bengue). „Abgesehen von den Torhütern und | |
Hendrik Pekeler fehlt es momentan an deutschen Weltklassespielern“, hat | |
Bundestrainer Alfred Gislason erst neulich festgestellt. Keeper Andreas | |
Wolff (Vive Kielce) ist bei der Europameisterschaft dabei, Pekeler nicht. | |
Ebenso wenig wie die international etablierten Paul Drux, der ungeimpfte | |
Juri Knorr, Fabian Wiede, Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki. Aus den | |
verschiedensten Gründen haben sie Alfred Gislason einen Korb gegeben, nicht | |
immer waren diese Gründe nachvollziehbar. Und längst ist eine hitzige | |
Debatte darüber entbrannt. | |
Gislason ist nicht begeistert von diesen Absagen. Gleichsam weiß er, dass | |
es nicht in seiner Macht steht, es zu ändern, zumindest nicht allein. | |
„Unter den gegebenen Umständen ist das der beste Kader“, stellt er | |
entsprechend und mit aller Gelassenheit, zu der ein Isländer fähig ist, | |
fest. Nun ist es sein Job, auch noch das Beste aus diesem herauszuholen. | |
Fest steht: Der Kader ist jung. Und er ist begeisterungsfähig, vor allem | |
das wurde während des einwöchigen EM-Vorbereitungslehrgangs von allen immer | |
wieder betont. „Da sind viele gute Typen dabei. Wir lachen viel | |
miteinander. Momentan macht es sehr viel Spaß“, bestätigt Patrick Wiencek, | |
mit 32 Jahren und 153 Länderspielen der mittlerweile dienstälteste Spieler | |
im Kader. Diesen Spaß, diesen Enthusiasmus wird es freilich brauchen, um | |
die Defizite wettzumachen, die es bei solch einer Gemengelage gibt. „Wir | |
müssen fehlende Erfahrung durch Teamgeist und Begeisterung ersetzen“, sagt | |
Alfred Gislason. Der Bundestrainer geht sogar noch einen Schritt weiter: | |
„Ich kann versprechen, dass wir immer mit maximalem Engagement auftreten | |
werden.“ | |
Was das Spielerische anbelangt, wird seine Mannschaft bei der | |
Europameisterschaft noch nicht am Maximum kratzen können. „Es ist doch | |
klar, dass wir in einer Woche nicht alles durcharbeiten können“, sagt | |
Alfred Gislason. Also nicht alles, was es an spieltechnischen Finessen | |
gibt. So wie auch klar sei, dass seine Mannschaft „noch nicht so gut | |
eingespielt und damit nicht so stabil“ sein könne. Gerade in | |
Stresssituationen könnte sich das negativ auswirken. Was nicht ist, soll | |
freilich während des Turniers zumindest noch besser werden: „Wir gehen in | |
die EM, um uns unter Druck weiterzuentwickeln.“ | |
13 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Frank Ketterer | |
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