Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Dieunerträgliche Leichtigkeit der Dummheit
> Woran erkennt man Dummheit? Und warum ist sie so groß? Die
> öster-reichische Psychiaterin Heidi Kastner geht ihr auf den Grund
Von Lennart Laberenz
Wer dieses feine Büchlein liest, kann an einen Christian denken: 1976 in
Thüringen geboren, lebt seit Langem in Berlin-Friedrichshain, etwas
schluffig, man-bun, Vegetarier, früher hat er Die Linke gewählt, sich von
einem Bauchleiden mit Selbsthilfeliteratur befreit.
Christian hat studiert, erzählt von Angstmache, Freiheitsbeschränkung, der
„kleinen Grippe“. Er ist Impfgegner, hat Zahlen, die zeigen sollen: Gibt
keine Übersterblichkeit. Die Covid-Toten? Herrje, jeder, der im Moment
sterbe, werde darunter subsumiert. Das Wort „subsumiert“ verwendet
Christian nicht, dafür das Wort „Göppelszeug“. Er meint den
NS-Reichspropagandaminister, weiß aber nicht genau, wie man seinen
Nachnamen schreibt.
Man kann an Christian denken, weil jeder jemanden wie Christian kennt. Sie
haben, vielleicht, weil vom Bauchleiden befreit, da jetzt Platz für Gefühl.
Und zwar gesundes. Das sagt, dass sie nicht an eine Pandemie glauben
müssen, manche Mediziner täten das auch nicht.
Adelheid „Heidi“ Kastner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in
Österreich, hat ein Büchlein dagegen geschrieben. Es kommt in einem grünen
Umschlag. Grün, Hoffnung. Die Monografie über Dummheit hat sie mit
notwendigen Differenzierungen eingeleitet: Keineswegs will sie über
Dummheit dozieren, um sich selbst zu überheben. Stellt aber fest, dass
viele größeren Wissensmangel „nicht als problematisch erkennen“ und dem
verbreiteten Irrtum aufsäßen, „sowieso von allem ausreichend Ahnung und
damit ausreichend Beurteilungsgrundlage zu haben, um ohne weiteren
Kenntniserwerb Sachverhalte treffend beurteilen zu können“. Klassisches
Exerzierfeld all dieser Gewissheit: die Medizin.
Kastner entwickelt eine grobe Typologisierung der Dummheit, streift
Faktenverweigerer, Ignoranten, Verschwörungstheoretiker: Man kann das als
Eskalationstreppe lesen, als Klaviatur immer schrillerer Töne. Auch die
Abgestumpften finden ihr schmales Kapitel.
Dummheit ist kein Essay zu Covid, aber der Virus kristallisiert
intellektuelle Beschränkung, die friedlich neben technischer, alltäglicher
Intelligenz siedelt. Die Pandemie zeigt unsere Bereitschaft, Wundermitteln
von Tante Tina zu glauben, uns kaum zu wundern, dass die Springerpresse
Tatort-Schauspieler zu gewichtigen Stimmen promoviert.
Der Essay ist leichthändig, deutlich zu kurz, klingt manchmal nach
ungläubigem Seufzen, mal wie Achselzucken: Mit Ignoranten haben Gespräche
klare Grenzen. Und führt einen beruhigenden Gedanke ein, longue durée:
Woher soll soziale Intelligenz denn kommen, Aufgeschlossenheit gegenüber
Widersprüchen und Ambivalenzen, Mut zu dialektischem Denken, die
Möglichkeit, sich selbst zu hinterfragen, wenn, so Kastner, „über ein
Jahrtausend der einzig explizit zulässige Blick auf gesellschaftliche und
weltanschauliche Themen von Kirche und Staat vorgegeben“ und es „mit einem
hohen Risiko für die eigene soziale Stellung oder sogar das Leben
verbunden“ war, „diese Vorgaben laut zu hinterfragen oder sich explizit
dagegen zu positionieren“.
Wir müssen uns also die Christiane als solche vorstellen, die noch üben.
Und sich grade, so schreibt einer, für „zu schlau“ halten, um sich von den
medizinischen Studien aufhalten zu lassen. Kastner wird er nicht lesen. Er
informiert sich vorrangig bei Telegram und Youtube.
8 Jan 2022
## AUTOREN
Lennart Laberenz
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.