# taz.de -- Queere Aktivistin in Berlin-Marzahn: Glückskind kämpft gegen Wind… | |
> Nele ist schon als Glückskind geboren. Nur ihren Vornamen hat sie erst | |
> später angenommen. Heute kämpft sie in Marzahn für Transrechte. | |
Bild: Kämpft im Berliner Nordosten für Transrechte: Nele Glückskind | |
BERLIN-MARZAHN taz | Im Winter ist der Platz in Marzahn-Mitte, an dem das | |
Café Engel liegt, verschneit. Die Fenster der zehngeschossigen | |
Plattenbauten hier im Berliner Nordosten glühen im warmen Licht der | |
Weihnachtsbeleuchtung, die noch in den Fenstern hängt. Nele Glückskind | |
sitzt bereits am Tisch. Die Beine übergeschlagen, trinkt sie mit geradem | |
Rücken einen Tee. | |
Nele Glückskind packte Stiere schon immer gerne bei den Hörnern: 2003 | |
brachte sie rechtsradikale Strukturen bei der Bundeswehr in der | |
Brandenburger Rolandkaserne an die Öffentlichkeit. Sie hatte dort als | |
Wehrdienstleistende selbst Gewalt erlebt. Pendelnd zwischen Berlin und | |
Frankfurt (Oder) aufgewachsen, studierte sie später Evangelische Theologie | |
an der Humboldt-Universität in Berlin – auf der Suche nach einem Sinn. | |
Gerne redet sie darüber nicht, weil sie nach zehn Semestern schließlich | |
doch abbrach. Die Strukturen in der Kirche funktionierten für sie nicht, | |
sagt sie. | |
Aus dem Studium wechselte Nele Glückskind direkt in die Selbstständigkeit. | |
Ihr größtes Projekt war das Internationale Filmfest Potsdam, das sie 2014 | |
veranstaltete. Nachdem sich das Festival nicht dauerhaft etablierte, wollte | |
sie kürzer treten. Zuletzt arbeitete sie in Bautzen bei einer katholischen | |
Berufsschule für Pädagogik. Auch hier versuchte sie, die Strukturen zu | |
verändern: Schwarze Pädagogik sei dort gelehrt worden, sagt sie, woraufhin | |
sie mehrfach von anonymen Anrufern beschimpft und bedroht worden sei. Im | |
Sommer 2020 flüchtete Nele Glückskind mit ihrer Partnerin aus Sachsen | |
zurück nach Berlin. | |
Die beiden sind seit 14 Jahren verheiratet. Die Wohnung mit Blick auf die | |
[1][Marzahner „Gärten der Welt“] sei das Beste, was ihnen passieren konnte. | |
Erst in Berlin begann Glückskind, offen als Frau zu leben. Zu ihrer | |
Vergangenheit hat sie ein ambivalentes Verhältnis: Einerseits ist sie stolz | |
auf das, was sie geleistet hat, andererseits will sie ihren männlichen | |
Vornamen hinter sich lassen. Einerseits hat sie sich verändert, auch im | |
Geschlecht. Andererseits weiß sie, dass „das eigentlich schon immer so | |
war“. | |
Was sie mit ihrem männlichen Vornamen hinter sich lassen möchte, sind die | |
Jahrzehnte der Verdrängung. Stellt man ihr heute die Sinnfrage, antwortet | |
sie pragmatisch: „Hauptsache, irgendwie klarkommen in der Welt.“ | |
Bereits zwei Mal wurden Nele Glückskind und ihre Partnerin in Marzahn auf | |
der Straße verbal angegriffen. „Schwule Sau“, schrie man ihr hinterher. So | |
ging es auch anderen: „Meine queeren Freunde im Bezirk orientieren sich im | |
Moment alle außerhalb – zum Beispiel im Sonntags-Club, dem größten | |
lesbischwultrans* Treffpunkt in Prenzlauer Berg.“ Deshalb plädiert | |
Glückskind für „Veranstaltungen, die gerade diese Menschen ansprechen. Wenn | |
es Sichtbarkeit gäbe, würden die merken, dass wir da sind und dass wir | |
keine ganz kleine Minderheit sind.“ Sie will sich dafür engagieren. Doch | |
das ist schwerer als gedacht. | |
Glückskind nimmt Kontakt zum „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ auf. | |
Nachdem sie bei einem ersten Treffen versetzt worden sei, melden sich | |
schließlich Sprecherinnen des Bündnisses bei ihr. Vergangenen Oktober ist | |
Nele Glückskind dann zum ersten Mal bei einer Sitzung dabei. Als es darum | |
geht, wie man mehr Menschen dazugewinnen könnte, habe sie sich als Erste | |
gemeldet: Im Bereich LGBTQ müssten hier im Bezirk Strukturen verändert | |
werden. Ihr Ansatz ist Arbeit vor Ort: „Wenn ich wirklich die Menschen | |
erreichen will, die feindlich sind, muss ich in die Straßen reingehen und | |
kleinere Straßenfeste machen, anstatt irgendwo ’ne große Bühne | |
hinzustellen, wo eh immer dieselben Leute hingehen. Statt einer | |
Prestigeband den lokalen Bands aus dem Jugendforum eine Plattform geben.“ | |
Als sie anfängt, von ihren Erfahrungen zu erzählen, der Transfeindlichkeit | |
und den zwei Angriffen, die sie erlebt hat, wird sie unterbrochen. Sie | |
solle sich auf das Wesentliche konzentrieren. | |
Später schreibt sie an die Koordinierungsstelle, die Stiftung SPI | |
(Sozialpädagogisches Institut Berlin) als Schirmherrin des Bündnisses sowie | |
die Linksfraktion im CC. Im Betreff steht „Rückzug“. „Meine Kraft ist | |
begrenzt!“, schreibt sie, und dass sie das Gefühl habe, kämpfen zu müssen, | |
um als Transfrau in der politischen Debatte wahrgenommen zu werden. | |
Die Antwort: In der Sitzung sei aus Sicht des Bündnisses nichts | |
schiefgelaufen. Frau Glückskind sei nur gebeten worden, sich auf das | |
Wesentliche, nämlich ihren Vorschlag, zu beschränken und ihre persönlichen | |
Erfahrungen mit Gewalt auszulassen. Vor allem habe das Ganze nichts mit | |
Transfeindlichkeit zu tun. | |
## „Unangebracht und entmutigend“ | |
Nele Glückskind sieht das nicht nur inhaltlich anders, sondern empfindet | |
auch die Art der Kommunikation als unangebracht und entmutigend. Gerade | |
wenn es darum ginge, neue Mitglieder zu gewinnen, seien das Unterbrechen in | |
der Sitzung und die Mail „im Verteidigungsmodus“ nicht die richtige | |
Methode. Auf eine enttäuschte Mail kommt keine Antwort mehr. | |
Zwei Tage später veröffentlicht sie ein Video auf Youtube. Hier richtet sie | |
sich auch an das Bündnis mit den Worten: „Ihr wisst doch überhaupt nicht, | |
wie man sich als Transperson hier in Marzahn-Hellersdorf fühlt. Ihr habt | |
keine Ahnung. Ich wurde im Bezirk zwei Mal angegriffen. Im Bezirk muss man | |
sich verstecken. Es gibt hier keine Sichtbarkeit für Transpersonen.“ | |
Glückskind wendet sich auch an Juliane Witt, damals noch Bezirksstadträtin | |
für Soziales der Linken, wirbt für eine Arbeitsgruppe zum Thema | |
Regenbogenzentrum und eine Erstanlaufstelle für Transpersonen. Als sie | |
schließlich darum bittet, den Link zu der Selbsthilfegruppe für | |
Transpersonen (die sie inzwischen wiederbelebt hat) auf der Bezirkswebsite | |
zu veröffentlichen, und auch um einen Raum für die Gruppe sowie | |
aufklärerische Veranstaltungen, erhält sie keine Antworten mehr. | |
Über 20 Mails hat Nele Glückskind an sechs Stellen geschrieben, unzählige | |
Male bei einzelnen VertreterInnen angerufen und zig Treffen verabredet. | |
Trotzdem ist sie noch auf keinem Verteiler zu Queer-Veranstaltungen im | |
Bezirk gelandet, das Thema Regenbogenzentrum wird auf der Agenda der | |
Bezirksverordnetenversammlung immer wieder verschoben, und ihre | |
Selbsthilfegruppe hat weder einen dauerhaften Raum noch taucht sie auf der | |
Bezirkswebsite auf. | |
Schon früher hatte Glückskind mit zäher Lokalpolitik gekämpft, gerade bei | |
den Linken. Damals ist sie auf den Bund ausgewichen, aber das will sie | |
jetzt nicht mehr: „Ich lebe hier, ich bleibe hier, ich will hier | |
gestalten!“, sagt sie der taz. Nele Glückskind möchte die Sache jetzt | |
selbst in die Hand nehmen. Zuletzt organisierte sie einen runden Tisch mit, | |
der sich für LGBTIQ*-Angelegenheiten in Marzahn-Hellersdorf einsetzen | |
möchte. | |
„Ich glaube, dass es wichtig ist, deutlich zu machen, wie man sich selbst | |
fühlt. Zum Beispiel werde ich manchmal als Mann angesprochen, da muss man | |
einfach sensibilisieren.“ Sie will ein Event veranstalten, um über | |
Transsexualität aufzuklären. Dabei möchte sie auch selbst Fragen | |
beantworten, ganz ungeniert. Woher weiß man, dass man im falschen | |
Geschlecht geboren ist? Wie fühlt sich das an? Wie ist der Sex? Alle Fragen | |
sind o. k., sagt sie, solange sie in einem sicheren Rahmen gestellt werden: | |
„Ich bin da auch relativ entspannt, ist nicht so, dass jeder die ganze Zeit | |
aufpassen muss, nichts Falsches zu sagen. Man muss die Vorurteile umkehren, | |
indem man mit den Tabus offen umgeht.“ | |
12 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hanno Rehlinger | |
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