Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- berliner szenen: Vom Hof in die Neunziger
Schwülstige Finger greifen in den Raum, aufgerissene Augen funkeln, ein
wankender Gigant. Durchs zurückweichende Publikum geht ein Raunen. Bewegt
von drei Schwarzgekleideten erkundet die furchterregende Marionette den
Hinterhof, der heute Bühne und Zuschauerraum ist. Dann erklingt Musik,
metallisch, der Riese stampft auf und tanzt erstaunlich leichtfüßig.
Schwebende Medusen folgen, flirrende Tentakel, so geschickt geführt, dass
ich mich unter Wasser wähne. Dann Vögel in verschiedenen Formationen und
schließlich ein besonders großes Exemplar mit langem Hals und
Geierschnabel, es schreit wie ein Pfau: ein riesiger obszöner Vogel der
Nacht. Trotz des ganzen Spektakels ist die Story simpel: Der Gigant mit den
Pranken will gar nicht böse sein und als der Vogel im Sterben liegt,
streichelt er ihn und flößt ihm neue Kraft ein. Vereint in Freundschaft
ziehen sie von dannen. Auf der Brandmauer die Projektion eines Mondes.
Den ganzen Tag waren auf den Hinterhof in Rixdorf nasse Schneeflocken
gefallen, die Kälte zog osmotisch über die Schuhsohlenmembranen in meinen
Körper. Nach Vorstellungsende schloss ich mich verlegen der Prozession der
Schausteller an, die die Puppen, der Gigant in seine Glieder zerlegt, auf
Lastenrädern durch Neukölln schoben, alles gefertigt aus Recyceltem, die
Feder des Vogels einst OP-Handschuhe.
Bald bogen wir in eine Seitenstraße, betraten einen Hof. Ich bot meine
Hilfe an und trug eine der Pranken eine halbe Treppe hinunter, passierte
einen Vorraum und einen Mauerdurchbruch. Dahinter eine riesige Halle, voll
von Marionetten, Bildern aus Schrauben und Muscheln, kuriosen Maschinen aus
Instrumenten und großformatigen Collagen. Ein Depot der Straßenkunst. Ich
rieb mir die Augen: Ich war im Berlin der 90er. Timo Berger
14 Dec 2021
## AUTOREN
Timo Berger
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.