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# taz.de -- Suche nach Raub-Büchern
> Ein spektakulärer Hamburger Fall hat auf die Provenienzforschung zu
> NS-Raubgut in Bibliotheken hingewiesen. An Anerkennung fehlt es ihr
> nicht. Aber an Geld
Bild: Endlich wieder in Parteibesitz: Die Bismarck-Bücherei Specht gehört der…
Von Lisa Bullerdiek
Johanna Maaß, geboren am 1873 in Königsberg, promovierte in Berlin und
arbeitete dort als Ärztin. 1938 entzogen die Nationalsozialisten der
jüdischen Frau die Approbation, sie zog daraufhin zu ihrer Familie nach
Hannover. Im Dezember 1940 starb sie dort. Ihren Besitz beschlagnahmte die
Gestapo und ihre Schwestern wurden ins Ghetto Riga deportiert, wo sie 1942
ermordet wurden. Ihre Bücher aber landeten in der Stadtbücherei Hannover.
Dort blieben sie bis zum März 2021, im Magazin neben Klassensätzen von
Deutschbüchern.
Das hat Jenka Fuchs herausgefunden. Sie erforscht in der Stadtbibliothek
Hannover die Provenienz von Zugängen der NS-Zeit, um zu ermitteln, welche
Bücher im Bestand der Bibliothek ihren Eigentümern von den Nazis gestohlen
wurden. Größere Aufmerksamkeit hatte diese sonst weniger beachtete
Forschung am 17. November erhalten: Die Hamburger Staats- und
Universitätsbibliothek (SUB) übergab die „Bibliothek Specht“ an die
Friedrich-Ebert-Stiftung: 118 Bücher und Briefe, alles Materialien über
Otto von Bismarck. Ein gewisser Emil Specht hatte seine Spezialsammlung in
den 1920er-Jahren dem SPD-eigenen Auer-Verlag vermacht. Der wurde 1933 vom
Nazi-Senat aufgelöst, sein Besitz durch die Gestapo beschlagnahmt – die um
1937 dann die Bismarck-Sammlung an die SUB weitergab. Die Umstände dieser
Schenkung hatte nun deren Abteilung Provenienzforschung erkundet. Mit zwei
festen Stellen ist sie an Hamburgs Staatsbibliothek besser ausgestattet als
die meisten in Deutschland.
Auch Jenka Fuchs will Raubgut als solches identifizieren – und die Schätze
an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben, an lebende Nachfahren, so wie
im Fall von Johanna Maaß’Büchern: Die Bibliothek hat sie 80 Jahre nach dem
Raub an deren Urneffen restituieren können. „Wir platzen mit unserer
Forschung in Familiengeschichten hinein“, sagt sie.
In Bremen leitet Maria Hermes-Wladarsch die Provenienzforschung an der
Staats- und Universitätsbibliothek. Auch hier ist das Detektivarbeit und
eigentlich eine doppelte Recherche: zuerst die Suche nach verdächtigen
Büchern, dann die nach den rechtmäßigen Erb*innen. Eine Recherche läuft so
ab: Zunächst sucht Hermes-Wladarsch in den Zugangsregistern der Bibliothek
nach verdächtigen Einträgen. Eindeutig verdächtig sind zum Beispiel die
Abkürzung „J.A.“ neben dem Buchtitel, denn das steht für „Judenauktion�…
Aber auch „privat“, „geschenkt“ oder „archivarisch“ kann auf NS-Rau…
hinweisen. Sie trägt die Daten in eine Tabelle ein, sucht die Bücher und in
ihnen nach einem Herkunftshinweis. Wenn sie ein Exlibris oder einen Stempel
findet, kann sie versuchen, Erb*innen ausfindig zu machen. In Bremen,
sagt Hermes-Wladarsch, haben sie und ihre Kolleg*innen 68.000 Bücher
untersucht und davon 4.000 in die Datenbank von Büchern eingetragen, die
als Raubgut gelten.
In der Stadtbibliothek Hannover sei der Anteil an verdächtigen Büchern noch
höher, erzählt Jena Fuchs. Bei 6.000 untersuchten Büchern sei sie auf 2.000
Verdachtsfälle gekommen. Dass sie die Bestände einer Stadtbücherei prüft,
sei eher ungewöhnlich. Wissenschaftliche Bibliotheken, sagt sie,
beschäftigen sich häufiger mit der Herkunft ihrer Sammlungen. Öffentliche
Bibliotheken konzentrieren sich eher auf Bücher, die gerade von
Besucher*innen ausgeliehen werden.
„Wie bei den Museen hängt das alles an der Washingtoner Erklärung“, sagt
Michaela Scheibe. Sie ist die Vorsitzende einer Kommission für
Provenienzforschung zu NS-Raubgut des Deutschen Bibliotheksverbandes. Die
Washingtoner Erklärung wurde 1998 von 45 Staaten und zwölf Organisationen
unterzeichnet. Ziel war es, herauszufinden, welche Kulturgüter die Nazis
gestohlen hatten, und für ihren weiteren Verbleib eine „gerechte und faire
Lösung zu finden“, wie es in der Erklärung heißt. Die Forschung begann
zunächst auf Initiative einzelner Personen. „Bremen und Hamburg waren
ziemlich früh dabei“, sagt Scheibe.
Das 2015 gegründete Zentrum für Kulturgutverluste finanziert in
Deutschland die meisten dieser Forschungsprojekte – so auch Jenka
Fuchs’Arbeit in Hannover. „Die Provenienzforscherinnen und -forscher ziehen
von Stadt zu Stadt und von Projekt zu Projekt“, sagt sie. Nachteil: Wer
sich einmal eingearbeitet hat, verfügt über Expert*innenwissen. Mit dem
Projektende geht das den Bibliotheken verloren.
Einen Hinweis auf mangelnde Nachhaltigkeit infolge schwankender
Finanzierung gibt die Webseite der Staats- und Universitätsbibliothek
Göttingen: Von 2009 bis 2011 habe es ein Forschungsprojekt gegeben. Und
jetzt? „Wenn in der Benutzung verdächtige Provenienzeinträge auffallen,
werden die entsprechenden Bücher geprüft“, informiert die Online-Präsenz.
Man sei daher den „Nutzerinnen und Nutzern für Hinweise sehr dankbar“,
steht dort.
Im Magazin der Bremer Uni-Bibliothek steht an zwei Rollregalen
„NS-Raubgut“. Dahinter, in grauem Papier, stehen verdächtige Bücher, die
nicht zugeordnet werden können, weil Hinweise auf die Eigentümer*innen
fehlen. In einer der Schachteln liegt ein „Herbarium des Heiligen Landes“.
„Blumen vom Berg Zion“ steht dort. Darunter hatte jemand einmal eine
himmelblaue Blume eingeklebt.
1 Dec 2021
## AUTOREN
Lisa Bullerdiek
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