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# taz.de -- berliner szenen: Gefühle im Herbst
Oft stehen oder liegen sie im Weg, mit flackerndem Lenkerlicht, oder sie
schneiden einen gefährlich auf dem Trottoir.
Auch jetzt schoss wieder so ein E-Roller auf mich zu, darauf zwei junge
Menschen mit glatten, glänzenden Gesichtern, er nach Minze duftend, sie
strahlend an ihn geklammert, mit diesen weiten Hosen, die gerade in Mode
sind, und langem, wehendem kastanienbraunem Haar. Ich habe sofort an einen
Film gedacht, der in Paris und in Schwarzweiß spielt.
Bevor ich reflexartig aus der Einflugschneise dieses Paars mit offenem oder
schon bestätigtem Beziehungsstatus sprang, stand ich lange vor einem
Schaufenster, in dem das Piratenschiff meiner Kindheit aufgebahrt war. Der
komplette Plastiksatz, nur die Segel in anderer Farbe. Daneben der Atari,
auf dem ich mir selbst das Programmieren beigebracht hatte. Hätte ich den
Inhalt meines Kinderzimmers nicht in den Container, den meine Eltern vor
zehn Jahren abholen ließen, gekippt, könnte ich in diesem Nostalgieshop
ganz sicher Geld machen.
Seit ein paar Tagen denke ich darüber nach, wie ich meine Bilanzen ins
Positive wende. Das BVG-Abo ist gekündigt. Der Steuerberater auch. Ich
schlingere gerade durch die Midlifecrisis. Unnötiger Ballast, toxische
Beziehungen, Arbeitsverhältnisse, all das kommt auf den Prüfstand. Die
Idee, sich noch mal zu verlieben in den Jahren, die bleiben, erscheint
ebenso fraglich.
Dann flitzte dieser E-Roller vorbei mit den beiden aufgeladenen Körpern,
die sich eng aneinanderschmiegten. Ein das Surren des E-Antriebs
übertönendes Lachen. Gern hätte ich getauscht. Doch der Lieblingskollegin
zu sagen, lass uns einen Roller mieten und durch die Nacht browsen und
stürzen, wenn der Akku leer ist, übereinanderkugeln und lachen? Erschien
mir auf einmal utopisch. Timo Berger
8 Nov 2021
## AUTOREN
Timo Berger
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