| # taz.de -- nordđŸthema: Turbulenzen auf dem Ausbildungmarkt | |
| > In Hamburg gibt auch im zweiten Coronajahr rund 2.000 AusbildungsplÀtze | |
| > weniger. Zugleich fĂŒrchten viele Branchen den FachkrĂ€ftemangel, weil die | |
| > Boomer in Rente gehen | |
| Bild: Handwerker for Future: Damit die Klimaziele erreicht werden, muss die Jug… | |
| Von Pascal Luh | |
| Vor einem FachkrÀftemangel warnen Politik und Wirtschaft schon lange. Die | |
| Hamburger Handwerkskammer sieht darin inzwischen gar eine Gefahr fĂŒr das | |
| Klima, weil Fachleute fĂŒr SchutzmaĂnahmen fehlen. Dazu passt es gar nicht, | |
| dass die Zahl der Ausbildungsstellen im zweiten Jahr in Folge sinkt. Von | |
| rund 11.500 bei der Arbeitsagentur gemeldeten Stellen im Jahr 2019 auf | |
| 9.243 in diesem Jahr. | |
| Bekannt wurde dies am Montag auf einer Pressekonferenz von Arbeitsagentur, | |
| Kammern, Gewerkschaften und Schulbehörde. Schon in der Einladung heià es, | |
| 2021 sei ein âschwieriges Jahrâ mit âTurbulenzen und Verunsicherungen auf | |
| beiden Seiten des Ausbildungsmarktsâ. Unterm Strich sind es ein FĂŒnftel | |
| weniger PlÀtze als vor Corona. | |
| Das ist ungĂŒnstig. Nimmt man die Warnung von Hjalmar Stemmann ernst, dem | |
| PrĂ€sidenten der Hamburger Handwerkskammer. âWir werden mit den jetzt | |
| vorhandenen Mitarbeitern die von Hamburg geforderten Klimaschutzvorgaben | |
| nicht erreichenâ, sagte er im Abendblatt-Interview. Die Stadt mĂŒsse âmehr | |
| Handwerker im Beruf fĂŒr Klimaschutztechniken weiterbilden und den Nachwuchs | |
| dafĂŒr begeisternâ. Fehlen diese Leute, bekĂ€me Hamburg weder genug neue | |
| Heizungen und Fenster in die HĂ€user noch Solaranlagen auf die DĂ€cher. | |
| Die Mangel-Warnung spricht auch die Hamburger Handelskammer aus, so heiĂt | |
| die Vertretung von Handel und Industrie. Auch wenn die Nachfrage | |
| coronabedingt âgedĂ€mpftâ sei, âFachkrĂ€ftemangel bleibtâ, schreibt sie… | |
| ihrem âFachkrĂ€ftemonitorâ. Bis 2035 könnten 127.000 ausgebildete Personen | |
| in Hamburg fehlen. âWir kriegen hier in allen Bereichen ein riesiges | |
| Problemâ, sagt Handelskammer-Sprecher Finn Mohaupt. | |
| Ein Grund dafĂŒr ist schlicht die Demografie. âIn den nĂ€chsten sieben Jahren | |
| scheiden ĂŒber 67.000 Fach- und FĂŒhrungskrĂ€fte aus, die in Rente gehenâ, | |
| sagt Knut Böhrnsen, Sprecher der Arbeitsagentur Hamburg. Es ist die | |
| Babyboomer-Generation der 1950er- und 1960er-Jahre, BeschÀftigte mit teils | |
| âjahrzehntelanger Berufserfahrungâ. | |
| Es tröstet etwas, dass die Prognosen fĂŒr Hamburgs SchulabgĂ€ngerzahlen âfĂŒr | |
| die nĂ€chsten zehn Jahre noch gut aussehenâ, wie Mohaupt sagt. Denn Hamburg | |
| zieht junge Familien mit Kindern an. Allerdings kÀmen in Handel, | |
| Dienstleistung und Industrie mehr als die HĂ€lfte der Auszubildenden aus | |
| Niedersachsen und Schleswig Holstein. âDie Geburtenrate aus dem Umland | |
| schlĂ€gt dann in der Stadt ein.â Ăbrigens prophezeit Schleswig-Holstein bis | |
| 2035 eine FachkrĂ€ftelĂŒcke von 180.000. | |
| Mohaupt macht einen sinkenden Stellenwert von Ausbildungen fĂŒr den | |
| Nachwuchsmangel verantwortlich. Es gebe einen enormen Wettbewerb mit der | |
| steigenden Anzahl an StudiengĂ€ngen. âEs gibt eine Abiturientenquote von | |
| ĂŒber 50 Prozent. Das ist der Regelabschluss.â Hier kursiere die | |
| âFehlvorstellungâ, man könne nur mit Studium etwas erreichen. Die Nachfrage | |
| nach Ausbildung sei vor allem seit zwei Jahren erlahmt. | |
| Die Arbeitsagentur sieht als Ursache dafĂŒr die Pandemie. FĂŒr viele | |
| Jugendliche habe schlicht der Zugang zu den Betrieben gefehlt, sagt Knut | |
| Böhrnsen. Denn die SchĂŒler*innen entschlössen sich hĂ€ufig im Praktikum | |
| dazu, eine Ausbildung in einer Firma zu beginnen. Praktika gab es aber | |
| wegen Corona kaum. Betriebe hÀtten zwar versucht, diesen fehlenden Zugang | |
| mit digitalen Angeboten zu kompensieren, âaber drehen Sie einmal ein | |
| Gewinde am Computerâ. | |
| Die Gelegenheit, etwas auszuprobieren, sich fĂŒr etwas zu begeistern, aber | |
| auch eine TĂ€tigkeit abzulehnen, sei digital nicht zu ersetzen, sagt | |
| Böhrnsen. Auch Ausbildungsmessen, bei denen sich Betriebe und Nachwuchs | |
| sonst nÀherkommen, fielen in der Pandemie aus. Und BeratungskrÀfte | |
| durften nicht mehr in die Schulen. | |
| Doch zur Bilanz gehört auch, dass die Unternehmen weniger PlÀtze anboten. | |
| âHamburg ist im BundeslĂ€ndervergleich fast an letzter Stelle, was die | |
| Relation Ausbildungsplatzangebote zu Anzahl der Firmen angehtâ, sagt Knut | |
| Böhrnsen. GegenĂŒber 2020 mit 9.900 Stellen wurden es in 2021 noch mal rund | |
| 650 Stellen weniger. Dabei brachen nicht nur in Branchen, die stark von der | |
| Krise betroffen waren, wie Reisewirtschaft, Hotellerie und Gastronomie die | |
| Angebote ein. Auch angehende Friseur- und ZahnarzthelferkrÀfte fanden | |
| schwerer einen Ausbildungsbetrieb. | |
| Das passt zu dem Ranking des Instituts fĂŒr berufliche Bildung (IBB), das | |
| jÀhrlich den Ausbildungsmarkt analysiert und das VerhÀltnis zwischen | |
| Angebot und Nachfrage misst. Dabei kam das Institut schon im Jahr 2020 zu | |
| dem Ergebnis, dass Hamburgs Ausbildungsmarkt den eigenen Bedarf nicht | |
| decken konnte. Im Bundesvergleich belegte der Stadtstaat vor Berlin den | |
| zweitletzten Platz. | |
| Lars Geidel von der DGB-Jugend Hamburg sagt, es gebe eine Art | |
| âAbwĂ€rtsspiraleâ, ein dĂŒrftiges Angebot reduziere auch die Nachfrage. â… | |
| wissen, dass es schon vor Corona zu wenig AusbildungsplĂ€tze gab.â Das | |
| System der Ausbildung mĂŒsse unabhĂ€ngig von Krisen werden, da Ausbildung | |
| eine wichtige Investition in die Zukunft sei. | |
| Es litten nicht alle Branchen unter der Pandemie. Im Baugewerbe hÀtten sich | |
| die Ausbildungszahlen zuletzt wieder etwas erholt, berichtet Andre | |
| Grundmann, Regionalleiter Nord der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt | |
| (IG BAU). Unter anderem habe sich der Bausektor durch die Integration von | |
| geflĂŒchteten Menschen in den Arbeitsmarkt stabilisieren können. Torsten | |
| Rendtel, Vorsitzender des Ausbildungszentrums Bau in Hamburg, bestÀtigt | |
| das: âWir haben einen hohen Zuwachs von GeflĂŒchteten in der Baubranche. In | |
| Hamburg ist das ein Anteil von 20 Prozent.â | |
| Im Handwerk indes gab es wegen Corona schon 2020 eine âDelleâ, obwohl dort | |
| der Nachwuchs dringend gebraucht wird. âH amburger Handwerkerinnen und | |
| Handwerker sind die Macher der Klimawendeâ, sagt Stemmann zur taz. | |
| âEveryday for Future, wenn man so will.â | |
| Gebraucht fĂŒr die Klimawende wĂŒrden Berufe wie | |
| Anlagenmechaniker*innen fĂŒr SanitĂ€r-, Heizungs- und Klimatechnik, | |
| Brunnenbauer*innen und Mechatroniker*innen fĂŒr KĂ€ltetechnik. | |
| Zahlen ĂŒber freie Stellen hat die Kammer nicht, doch diese Berufe befĂ€nden | |
| sich unter den âTop 20â der âEngpassanalyseâ der Arbeitsagentur. | |
| Um mehr FachkrÀfte in Hamburg auszubilden, setzt Mohaupt vor allem auf die | |
| UnterstĂŒtzung der Jugendlichen: âWir mĂŒssen die ermutigen, sich zu | |
| entscheidenâ, sagt er â und rĂ€umt ein, âauch gerne fĂŒr ein Studiumâ. | |
| Lars Geidel sagt fĂŒr die DGB-Jugend: âWir fordern eine Ausbildungsgarantie, | |
| bei der jeder Mensch die Ausbildung bekommt, die er möchteâ. Dies könnte | |
| ĂŒber eine Umlage von Unternehmen realisiert werden, und auch ĂŒber | |
| ĂŒberbetriebliche Ausbildungszentren, wie es sie im Baugewerbe schon gibt. | |
| Mitarbeit: Kaija Kutter | |
| 6 Nov 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Luh | |
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