# taz.de -- Unmögliche Berührung | |
> Körper, Erotik und Aufbegehren sind allgegenwärtig im Werk von Rebecca | |
> Horn. In Wien stellt das Bank Austria Kunstforum ihre reichen | |
> Verflechtungen von Ausdrucksformen vor | |
Bild: Rebecca Horn, Concert for Anarchy, 1990, Konzertflügel, Hydraulikkolben … | |
Von Jacqueline Rugo | |
Aus den Kupfertrichtern flüstern Stimmen, klagen ihr Leid in vielen | |
Sprachen. Der Jammer wird lauter, schwillt an, vermischt mit Geräuschen, | |
wird zum Beben, wird leiser und versickert schließlich in einer Mure aus | |
Bauschutt, Holzpaletten, Mauerresten und schwarzem Tuch. Verteilt auf die | |
Ausstellungsräume des ehemaligen Bankgebäudes zeigt das Bank Austria | |
Kunstforum Wien einen „ganzen Strom“ von jeweils verknüpften und | |
miteinander in Dialog stehenden Werken einer der außergewöhnlichsten und | |
vielseitigsten Künstlerinnen ihrer Generation: Rebecca Horn. | |
Es werden für diesen besonderen Ort und Anlass – nämlich die erste | |
umfassende Werkschau der Künstlerin seit knapp 30 Jahren in Österreich – | |
bekannte und neu gestaltete Installationen gezeigt, wie die bereits 1997 | |
bei der Kunstbiennale von Venedig ausgestellte „skulpturale Komposition“ | |
„Konzert der Seufzer – Concerto dei sospiri“. Stimmen sind zu vernehmen in | |
den unterschiedlichsten Idiomen der Welt – Italienisch, Englisch, Deutsch, | |
Spanisch und Französisch, die die Künstlerin gesammelt und zu einem | |
Klangteppich der Klagen gemischt hat. | |
Die chorale Installation bildet den Auftakt zu einer mit Filmen, | |
Fotoübermalungen, Zeichnungen, Gouachen, mechanischen Skulpturen, | |
Installationen und Gedichten reich bestückten Schau, die im Zusammenführen | |
von Bildern, Klängen, Texten und Motorik den Fokus auf die Verflechtungen | |
der zahlreichen Ausdrucksformen legt, derer sich Rebecca Horn seit fünf | |
Jahrzehnten bedient. | |
Mit frühen Werken wie „Überströmer“ (1970), eine aus Glas, Metall und | |
Plastikschläuchen konstruierte Korsage, die die innere Bewegung des | |
Blutkreislaufs nach außen verlegt, spannt die Ausstellung einen zeitlichen | |
Bogen bis zu der 2018 entstandenen Installation „Jungfräuliche Empfängnis�… | |
Es handelt sich um eine Konstruktion, bestehend aus einem schwarzen | |
Blasebalg und einer perlmuttweißen Meeresmuschel, die sich dank eines | |
kleinen Motors und aufgespießt auf Stahlstangen langsam um sich selbst | |
drehen, ohne dass es zu einer Verbindung der beiden Körper kommt. Die | |
unmögliche Berührung ist durchdrungen von feiner Ironie. | |
Bereits bei „Blue Monday Strip“ von 1993 paart Rebecca Horn versteckten | |
Spott und Melancholie zu einer paradoxen Konstellation, die als Spiel einer | |
höheren Macht erscheint: An die Wand montiert werden neun mechanische | |
Schreibmaschinen, deren Tasten ein Motor mittels langer Metallstangen in | |
Bewegung setzt, zu den Protagonist*innen eines skurrilen Konzerts. | |
Zusätzlich spritzt blaue Tinte durch einen kleinen Trichter auf den Boden. | |
Die Gleichförmigkeit und der monotone Ton der Maschinen, als Symbol der | |
weiblichen Beschäftigungswelt, lassen an Eintönigkeit, Unterdrückung und | |
Aufbegehren dagegen denken. | |
Liebe und Erotik sind in Rebecca Horns Œuvre allgegenwärtig, sie zeigen | |
sich in vielen Schattierungen, mehr oder minder maskiert als Angst, | |
Schrecken, Hoffnung, Sehnsucht oder Erfüllung. Der „Dialog der | |
Silberschaukeln“ (1979) evoziert mit seinem sanften Hin- und Herschwingen | |
einen Pas de deux ohne Anfang und Ende und wird zu einer Allegorie der | |
Unmöglichkeit des Gleichklangs. „Thermomètre d’amour“ (1985) zeigt über | |
chemische Prozesse und eine Text-Skala, deren Maßeinteilung von S’ABIMER | |
(Sich selbst lieben) bis SOLITUDE (Einsamkeit) reicht, unterschiedliche | |
Körper- und Seelenzustände an. | |
Dualismen wie Subjekt/Objekt oder weiblich/männlich werden hier | |
überschritten, ähnlich wie im „Raum der gegenseitigen Zerstörung“ von 19… | |
Hier stehen sich zwei große Spiegel gegenüber, wobei vor jedem Spiegel eine | |
Pistole montiert ist, die ihr Ziel im anderen Spiegel avisiert. Die | |
Besucher*innen müssen dieses Zentrum des spannungsgeladenen Raums bei | |
ihrem Weg durch die Ausstellung durchschreiten. Für einen kurzen Moment | |
werden sie dabei selbst zum avisierten Objekt und damit zu Protagonisten | |
einer überaus komplexen Zone narzisstisches Sehens, in der die Gefahren | |
zwischenmenschlicher Beziehungen im Wechselbad von sinnlicher Anziehung und | |
tödlicher Entfremdung anklingen. | |
Anhand von Gedichten, Zeichnungen, Fotocollagen und Filmstills dokumentiert | |
die von Bettina M. Busse kuratierte Ausstellung, wie sich aus einer Idee | |
eine Geschichte entwickelt, anschließend ein Text, der wiederum zur Skizze | |
wird, dann zu einem Film und in der Folge die Skulpturen und Installationen | |
entstehen. Unübersehbar sind auch die frühen Einflüsse, die Rebecca Horn | |
bereits während ihres Studiums an der Hamburger Hochschule für bildende | |
Künste (1963–69) erhielt und ihr ausgeprägtes politisches Bewusstsein. | |
Später kam der Einfluss von Joseph Beuys und der Einfluss von | |
Künstler*innen aus dem Umkreis von Fluxus und Arte Povera hinzu und die | |
Eindrücke, die Rebecca Horn Anfang der 1970er Jahre zunächst in London und | |
nach ihrer ersten Documenta-Beteiligung 1972 während ihrer zahlreichen | |
Aufenthalte in New York erhielt. Wesentlich für die Entwicklung ihres | |
facettenreichen Œuvres waren die Surrealisten, die unter anderem mittels | |
Collage und Montage Grenzüberschreitungen zur künstlerischen Methode | |
erhoben. | |
Mit prothesenhaften Verlängerungen der Extremitäten, die an Handschuhen | |
befestigt wurden, und Gesichtsmasken aus Federn und Bleistiften schuf | |
Rebecca Horn bereits in der 70er Jahren sensible Körpererweiterungen, um so | |
das Verhältnis von Körper, Skulptur und Raum zu erkunden. Später werden aus | |
den Mensch-Objekt-Symbiosen kinetische Objekte, denen eine starke | |
Verbindung zum Humanen innewohnt. Die von kleinen Motoren betriebenen | |
Gebilde verhalten sich atypisch für Maschinen: Sie kratzen, streicheln, | |
schlagen, bohren, hauen, stechen, hämmern und ritzen. | |
Augenfällig ist stets die emotionale Erfahrung, die die mitunter nervösen | |
oder unvermittelt innehaltenden Gebilde vermitteln, nicht deren technische | |
Perfektion. Mit Werken wie „Floating Souls“ (1994) oder „Cutting Through | |
the Past“ (1993) betont die sorgfältig erfolgte Auswahl der Exponate zudem | |
eine Melancholie, von der viele Arbeiten erfüllt sind, und deren | |
tiefgründigen Ernst, der im ersten Moment durch irritierende und | |
verblüffende Verwandlung verborgen wird. | |
Nach Wien kam Rebecca Horn, die nach einem Schlaganfall 2015 zurückgezogen | |
in ihrer Heimatregion Odenwald lebt, während ihrer mittlerweile seit fünf | |
Jahrzehnten andauernden Tätigkeit immer wieder: nicht nur wegen der | |
Beteiligung an wichtigen Ausstellungen und Einzelpräsentationen, wie 1994 | |
in der Kunsthalle Wien, sondern auch, um ihre Werke in ungewöhnlichen | |
Räumen zu präsentieren. 1986 zeigte sie beispielsweise auf Einladung der | |
Wiener Festwochen gemeinsam mit Jannis Kounellis im Theater am Steinhof, | |
einer psychiatrischen Klinik, mehrere Werke, bei denen die | |
Patient*innen einbezogen waren. | |
Mit „Concert for Anarchy“ (1990) präsentiert die aktuelle Schau eine | |
Arbeit, die angesichts der jüngsten Entwicklungen von frappanter Aktualität | |
ist: ein rätselhafter schwarzer Konzertflügel, der kopfüber von der Decke | |
hängt und sich nach längeren Phasen schweigenden Verharrens plötzlich | |
öffnet, um unvermittelt und geräuschvoll die Tasten aus ihrer Verankerung | |
stürzen zu lassen, die kurz darauf mit einem harfenartigen Laut wieder | |
zurückgezogen werden. Es ist ein Ausbruch, der als Akt der Verzweiflung und | |
der Befreiung ebenso überrascht und schockiert. | |
Rebecca Horn, bis 23. Januar 2022, Bank Austria Kunstforum Wien | |
2 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Jacqueline Rugo | |
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