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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Ehmi Bleßmann: Von innen wärmen, hilft…
Nur halbherzig motiviert, noch irgendetwas zu erleben, sitzen eine Freundin
und ich am Freitagabend auf den Treppen eines Hauseingangs am Kreuzberger
Heinrichplatz. Es ist kurz nachdem die Demonstration gegen die Räumung des
Köpi-Wagenplatzes ihr Ende genommen hat, ein paar der Teilnehmenden finden
sich auch hier wieder. In der Luft liegen viel Trauer und noch mehr Wut
über das Ende des über 26 Jahre besetzten linksautonomen Wohn- und
Kulturprojekts. „Mir ist hammer kalt“, jammere ich, es folgt ein eingeübtes
Geplänkel darüber, dass man sich jedes Jahr um diese Zeit vornehme, endlich
eine richtig tolle Winterjacke anzuschaffen. Im Geiste der Studi-Realität,
dass richtig tolle Winterjacken jedes Jahr aufs Neue viel zu teuer seien
und man ja beim Zwiebelschichten auch dazulerne, vereint, verschlägt es uns
in den nächsten Späti. Von innen wärmen, hilft ja nichts.
Auch wenn das unsere erste Wahl ausschließt, überkommt mich kurz das Gefühl
von Berliner Heimatstolz – hört hört! – bei der Feststellung, dass das
ganze Sterni hier schon vor Mitternacht leer ist. Wir angeln uns zwei
Rothaus, verkauft sich das zur kalten Jahreszeit eigentlich besser, wegen
der Tannen auf dem Logo? Während wir Kleingeld aus unseren Hosentaschen
zusammensammeln, lassen sich von der Straße aufgebrachte Verlautbarungen
wahrnehmen, die sehr wütend und nach „Haut ab!“ klingen.
Draußen vor dem Späti hat sich auf dem Platz plötzlich eine beachtliche
Menge Polizisten – das ist mit Absicht nicht gegendert – positioniert. Sie
wirken richtig abgefressen, weil die Rufe ihnen gelten. Zugleich rempelt an
uns ein recht angetrunken daherkommender Schwarm Touris vorbei. In ihrem
black Dresscode ähneln sie auf eine irritierende Art und Weise den
Protestierenden. Dieser erste Eindruck zerschellt jedoch im Angesicht ihrer
breit grinsenden, mit Glitzer verzierten Gesichter, die nun einmal nicht
bis auf die Augen vermummt sind. Mit energischen Schritten schwingen sie
sich in Richtung SO36, vor dem sich eine Horde Menschen im Einlassstau
befindet, was gibt’s dort heute zu feiern? Kurzer Austausch: Sollte man
heute doch noch ausgehen, lass das wann anders machen, keine Lust, in so
einer Schlange rumzustehen. Am nächsten Tag dankt mir mein Körper diese
Entscheidung, ich bin eingeladen zur Renovierungsaktion einer
Friedrichshainer Wohnung, die sich die Mieterinnen genau genommen nicht
mehr leisten können, was sie sich eben mit bunten Wänden schön zu malen
versuchen. Von innen wärmen, hilft ja nichts.
## Bei der Schönfärberei
Es klingelt im Laufe der Schönmalerei. Ein Nachbar, der so wirkt, als hätte
er einen nennenswert längeren Abend als ich gehabt, steht vor der Tür. Aus
seinem müden Mund stolpert zähneknirschend die Frage, ob hier die Heizung
schon funktioniere, seine würde nur noch seltsam rauschen. Leider nicht,
bevor er sich zurück ins Bett hievt, schlägt er vor, gemeinsam an die
Hausverwaltung zu schreiben, weil wenn nur eine:r sich beschwere, bräuchte
es mindestens zweieinhalb Wochen, bis sich mit einer tendenziell
abweisenden Antwort rechnen ließe. „Klar, gerne, genauso wie letztes Jahr“,
wird ihm entgegnet und mich überkommt erneut die Überlegung, wo ich denn
nun am besten eine tolle Winterjacke herbekomme. Unter dem Vierersitz der
U6, mit der ich Sonntagmittag zum Frühstücken in den Wedding kutschiere,
klebt irgendetwas sehr unangenehm Riechendes am Boden, das selbst der zu
übermütigen Witzen neigenden Social-Media-Abteilung der BVG das Lachen in
Sekundenschnelle vergehen ließe. In einer Seitenstraße beim Leopoldplatz
angekommen, Lahmacun in unseren Händen, tut sich altbekannte Ratlosigkeit
bei der Frage von einem in unserer Gruppe auf, ob denn wer was von einer
freien Wohnung wüsste. Keiner hat was gehört, Themenwechsel, was machen wir
nächstes Wochenende, große Bestellung Çay. Von innen wärmen, hilft ja
nichts.
19 Oct 2021
## AUTOREN
Ehmi Bleßmann
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