# taz.de -- Ein bisschen unangepasst | |
> Die Jusos drängen sich immer weiter in die Mitte, ihre Vorsitzende | |
> Jessica Rosenthal will diesen Trend fortschreiben. Wo bleibt da die | |
> Rebellion? | |
Bild: Mittendrin: Jessica Rosenthal (SPD) bei ihrem Kneipenwahlkampf | |
Von Adrian Breitling | |
Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahlcamps der | |
taz Panter Stiftung. | |
Sie will den Kapitalismus überwinden, doch auf der Fußmatte liegen die | |
Flyer mit ihrem Gesicht und dem von Finanzminister Olaf Scholz direkt | |
nebeneinander. Jessica Rosenthal, 28 Jahre alt und Juso-Vorsitzende, | |
kandidiert mit ihm, für ihn, trotz ihm für den Bundestag. Wie das | |
zusammenpasst, lässt sich so zusammenfassen: Jusos in die Parlamente, denn | |
nur da können sie wirklich etwas verändern. Und solange alle hinter dem | |
diesmal tatsächlich „recht linken“ Wahlprogramm stehen, ist alles gut. Ohne | |
Kompromisse geht das aber nicht. Und die werfen teilweise die Frage auf, | |
wie jung und sozialistisch die Jusos sein können. | |
Jessica Rosenthal hat drei Rollen, die auf Familientreffen jeweils | |
ausreichen würden, um nicht weiter aufzufallen. Sie ist Lehrerin an einer | |
Gesamtschule, Juso-Vorsitzende und Bundestagskandidatin. Falls es mit dem | |
Einzug in den Bundestag etwas wird, wird sie zunächst nicht weiter Lehrerin | |
sein können. Politisiert wurde sie in einem freiwilligen politischen Jahr | |
in Bonn, 2013 folgte der Parteieintritt. „Weil die SPD für mich die Partei | |
der Gerechtigkeit war“, sagt sie. Acht Jahre später soll der Schritt in den | |
Bundestag gelingen. | |
## „Die Jungen haben nichts mehr zu verlieren“ | |
Ein Vorort von Bonn, ihrem Wahlkreis, gleich aussehende Mehrfamilienhäuser, | |
in den Hausfluren riecht es nach Rouladen und den Schuhen, die vor den | |
Türen stehen. Ein Kind macht Rosenthal die Tür auf, sie gibt ihm ihren | |
Flyer für die Eltern, danach sagt sie: „Einfach so die Tür aufzumachen, | |
wenn die Eltern nicht da sind, das kann gefährlich sein. Müssen ja nicht | |
immer nette Leute klingeln.“ Eine andere Tür schließt der Bewohner dahinter | |
schnell wieder. Er wähle die AfD. Im Haustürwahlkampf trifft man die | |
Menschen in ihrem privaten Raum. „Ich mag das nicht, wenn Leute dann von | |
sogenannten Lebensrealitäten sprechen. Das klingt so abgehoben“, sagt | |
Rosenthal. | |
Von ihrem Amt als oberste Jungsozialistin erzählt sie den Menschen an der | |
Tür nichts. Hier ist sie die Kandidatin für den Bundestag, die mal ihr | |
Gesicht zeigen möchte. | |
Wahlkampf, das heißt Stress, lange Tage und die ständige Angst davor, dass | |
es nicht reicht. Eine Sorge, die man sich nicht anmerken lassen darf. | |
Rosenthals Team halte ihr den Rücken frei und, hier spannt sich der Bogen, | |
besteht vor allem aus Jusos. Es wirkt fast, als würde die über 150 Jahre | |
alte Partei wirklich etwas jünger, frischer, linker. Siehe Aufwärtstrend in | |
den Umfragen. | |
Überall ist das jedoch längst nicht angekommen. Denn was die Partei von dem | |
Aufbegehren ihrer Jungen hält, lässt sich an der Landesliste ablesen. Wer | |
das Direktmandat nicht gewinnt, kann es über die Landesliste noch in den | |
Bundestag schaffen. Bei der Wahl 2017 waren das 15 SPD-Abgeordnete aus | |
Nordrhein-Westfalen, Rosenthal steht auf Platz 20. Wer dafür verantwortlich | |
ist, deutet sie an: alt, männlich, kommen nicht mit ihr als junger Frau | |
klar. | |
Sie will das nicht als Niederlage sehen, immerhin sind hinter ihr einige | |
große Namen, und wer weiß, vielleicht reicht es ja doch. Auch hier hat sie | |
druckreife Antworten parat, ist Profi. Die Jusos wollten keine Politik für | |
den „Spielplatz“, denn „wir Jungen haben nichts mehr zu verlieren. Wir si… | |
jetzt in den großen Umbrüchen“, sagt sie. | |
Das „Gerade jetzt“ ist nichts Neues. Bernhard „Fritz“ von Grünberg ist… | |
den 70er Jahren in der SPD. In der Bonner Innenstadt hilft er nun beim | |
Wahlkampf. Die Leute auf der Straße weist er stets auch auf seine | |
Sprechstunde im Rathaus hin. „Wenn mal was ist.“ Er ist das, was man | |
stadtbekannt nennt. In seiner Anfangszeit habe auch er den Kapitalismus | |
überwinden wollen, heute sucht er nach einem/einer Nachfolger:in für die | |
Sprechstunde. „Was machen“ sollen die Jungen in seiner Partei, so wie er es | |
getan hat. Nur in Parlamente zu wollen reiche nicht. | |
Von Grünberg will vor allem Mieter:innen mit ihren Problemen helfen. Das | |
heißt: Gespräche mit dem Feind, also mit Immobilienkonzernen wie Vonovia | |
und Co, sind unausweichlich. „Sonst erreicht man nämlich gar nichts.“ | |
Kompromisse gehören eben dazu. Die Bereitschaft dazu fordert er auch von | |
der Jugendorganisation. | |
Wenn er dabei ist, muss Jessica Rosenthal nicht vorneweg. Sonst steht sie | |
im Wahlkampf im Mittelpunkt. So wie vor etwa einem Jahr im Interview mit | |
dem Spiegel, kurz nachdem sie ihre Kandidatur für den Juso-Vorsitz bekannt | |
gegeben hatte. „Das war der Moment, wo mir klar war, ich werde auch | |
bundespolitisch wahrgenommen“, sagt sie. Auf diese Bühne zu treten bringt | |
Kompromisse und Vereinfachungen, am besten auf einzelne Personen, mit sich. | |
Das muss man nicht mögen. Spätestens aber wenn die Wahlplakate erstellt | |
werden, führt kein Weg daran vorbei. „Wie brechen wir unsere Forderungen so | |
runter, dass sie darauf passen?“, habe sich Rosenthal in der Frühphase des | |
Wahlkampfs gefragt. Mit den Losungen, die heute in der Stadt hängen, wirkt | |
sie noch immer nicht ganz zufrieden. „Sozusagen der erste Kompromiss, den | |
wir eingehen mussten“, sagt Rosenthal. | |
Die Jusos? Das ist doch dieser Kevin Kühnert. Er etablierte die | |
Jugendorganisation immer mehr als eine junge Stimme, die zum Beispiel gegen | |
die Groko wetterte oder den aktuellen Parteivorsitz maßgeblich unterstütze. | |
Auch er kandidiert gerade für den Bundestag, hat damit allerdings bis nach | |
seiner Juso-Zeit gewartet. Rosenthal nicht. | |
Sie will einen Trend fortschreiben, der die junge Perspektive weiter in den | |
Vordergrund rückt. Knapp 80 Jusos kandidieren direkt für den Bundestag, | |
andere sind bereits in Parlamenten tätig, auf Bezirksebene oder in Brüssel. | |
Anträge stellen, Bürokratie und eben die grokohafte Ausgangslage des | |
Systems. „Von der Couch aus verändert sich aber nichts“, sagt Rosenthal. | |
Ein Appell, den Arsch hochzukriegen, nicht zu lange über die theoretischen | |
Hintergründe zu reden und sich konkret einzusetzen. Steht das für die | |
Jusos? | |
Ein Besuch an der Basis, na ja, eher im ebenso jusodurchtränkten Wahlkreis | |
Berlin-Mitte. Trotzdem-Stimmung liegt in der Luft. „Olaf-Fan bin ich auf | |
jeden Fall nicht“, sagt einer. Ein anderer erzählt: „Man stellt sich das so | |
super vor: Wir rechnen aus, wie man kostenlosen öffentlichen | |
Personennahverkehr möglich machen könnte.“ Und dann werde schon der Antrag | |
von der eigenen Partei ausgebremst. Trotzdem tritt er im Namen der SPD an. | |
„Ohne uns kann es gar keine linken Mehrheiten geben. Allein deshalb muss | |
man sich für eine linkere SPD einsetzen.“ Vom demokratischen Sozialismus | |
träumen sie hier, einer Ziel-Welt ohne Armut, mit gleichen Chancen auf | |
einem gesunden Planeten. Dahin aber führten kleine Schritte, einer nach dem | |
anderen. Das sei mühsam, aber eben notwendig. Die Jusos sind ruhig, | |
sachlich und professionell im Sinn des politischen Systems. Zwar ist hin | |
und wieder die Rede von „der Straße“, auf die man ja gehen könne und auch | |
solle. Mehr aber wollen sie aushalten und nur sehr gezielt kompromisslos | |
sein. | |
Zurück in Bonn, wo Jessica Rosenthal sich über ihre Partei aufregt. „Wenn | |
die Inhalte unserer Bundestagsfraktion nicht gut sind, dann sagen wir auch, | |
dass sie nicht gut sind.“ Sie nennt den Staatstrojaner, das noch nicht | |
ausreichende Lieferkettengesetz und die Patentfreigabe von Impfstoffen. Mit | |
einer anderen Sache habe sie den unjusohaften Olaf Scholz direkt | |
konfrontiert. Seit ihrer Anfangszeit wolle sie ticketlosen, also | |
kostenfreien Nahverkehr ermöglichen, wenigstens für Schüler. Unter anderem | |
das soll Bonn zur „Klimahauptstadt“ machen. Wenigstens das Ziel einer | |
Modellstadt müsse ins Wahlprogramm. Es kam rein. „Wenn Olaf Kanzler ist, | |
dann werde ich mich wieder an seinen Tisch setzen und das wieder | |
einfordern.“ | |
Am Abend macht sich eine Gruppe Jungsozialist:innen auf den Weg in die | |
Bonner Altstadt, zum Kneipenwahlkampf. Sie verteilen Juso-Papes und | |
Kondome, ein bisschen unangepasst eben. Zu einer Gruppe, Typ „Weber’s | |
Grillbibel“, sagt Rosenthal nach dem Gespräch: „Ich freue mich schon aufs | |
nächste Bier, hier mit euch.“ Aber es wird für sie kein weiteres geben. Die | |
anderen gehen auf eine Party, sie kann nicht mitkommen. Denn morgen geht es | |
früh wieder los mit Wahlkampf. | |
Adrian Breitling kommt aus dem Ruhrgebiet. Er lernt an der Kölner | |
Journalistenschule. Hofft, hier bald mehr über sich schreiben zu können. | |
4 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Adrian Breitling | |
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