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# taz.de -- tazđŸŸthema: Ariel, Alfonsinaund das Meer
> Am 4. September ist der 100. Geburtstag des argentinischen Pianisten und
> Komponisten Ariel Ramírez. Zu seinen Werken gehört auch die von einem
> Aufenthalt in WĂŒrzburg inspirierte „Misa Criolla“
Bild: PopulĂ€r wurden RamĂ­rez’ Lieder vor allem durch die SĂ€ngerin Mercedes…
Von Katrin Wilke
Argentinien begeht in diesem Jahr den 100. Geburtstag zweier großer
Musiker. Der eine, Astor Piazzolla, wird weit ĂŒber die Grenzen seiner
Heimat hinaus das ganze Jahr ĂŒber mit Veranstaltungen geehrt. Ganz so viel
internationale Aufmerksamkeit erhĂ€lt der große Folklore-Pianist und
-Komponist Ariel RamĂ­rez allerdings nicht. Doch das zu Unrecht.
Geboren wurde er am 4. September 1921, also knapp sechs Monate spÀter als
der Tango-Erneuerer Piazzolla. Dabei erklingen Ramírez’ Werke, vorneweg die
„Misa Criolla“ und die poetisch-melancholische Zamba „Alfonsina y el marïżœ…
bis heute weltweit in unterschiedlichsten musikalischen Kontexten.
Die Namen dieser beiden herausragenden Kompositionen sind in eine
Metallstele an Ramírez’ Grab in Buenos Aires eingestanzt – zusammen mit dem
„Santafesino de veras“, einem auf seine Herkunft aus dem im Nordosten
Argentiniens gelegenen Santa Fe verweisenden StĂŒck, das dem Musiker im Jahr
1945 zu erster Bekanntheit verhalf. Komponiert hat er es ebenfalls als
Zamba, jener zentrale Tanz- und Musikstil der argentinischen Folklore.
Diese bereicherte und erweiterte Ariel RamĂ­rez in etwa so wie Astor
Piazzolla den Tango.
Den diskutablen Vergleich mit Piazzolla bemĂŒht gern auch RamĂ­rez Sohn
Facundo. Der MittfĂŒnfziger aus Buenos Aires ist wie sein Vater als Pianist
tÀtig, jedoch im Gegensatz zum ihm in der Klassik verwurzelt und derzeit
vor allem mit der musikalischen Nachlassverwaltung seines 2010 verstorbenen
Vaters beschÀftigt. Schon die argentinische Ikone Mercedes Sosa hat Ramírez
junior in ihre musikalischen AktivitÀten einbezogen. Unter anderem war er
an ihrem letzten Album „Cantora“ beteiligt, das im Jahr ihres Ablebens 2009
erschienen ist.
Doch noch enger ist die Vita der Folklore-Legende Sosa mit der von Ariel
RamĂ­rez verknĂŒpft. Eigens fĂŒr sie hat dieser 1969 fĂŒr das Album „Mujeres
argentinas“ zusammen mit dem Autor FĂ©lix Luna das StĂŒck „Alfonsina y el
mar“ verfasst – jene poetisch-melancholische Hommage an Alfonsina Storni.
Die berĂŒhmte Dichterin und Schriftstellerin hinterfragte in ihren Texten
mit allerhand feministischerm Verve das Patriarchat und andere ĂŒberkommene
Konventionen ihrer Zeit, bis sie 1938, mit nur 46 Jahren, schließlich den
Freitod wÀhlte und sich in Mar del Plata von einem Wellenbrecher ins Meer
stĂŒrzte.
RamĂ­rez wusste von dieser charismatischen Frau durch seinen Lehrervater,
bei dem die Storni in Santa Fe als Jugendliche zur Schule gegangen war und
die diesem auch ihre ersten Gedichte zum Lesen anvertraut haben soll.
Daraus machte RamĂ­rez jene schwermĂŒtigen, melodiös anmutigen Zeilen von der
„schlafenden, ins Meer gekleideten Alfonsina“, welche Zuhörer wie
Interpret*innen unterschiedlichster Couleur seit der allerersten
Aufnahme mit Mercedes Sosa bis heute in ihren Bann ziehen.
Es genĂŒgt ein Blick bei Youtube, um die Vielfalt an fast tĂ€glich
auftauchenden Neufassungen zu erahnen: Ob nun auf Spanisch von einer
SĂ€ngerin in der russischen „The Voice“-Show intoniert oder von der
Grammy-dekorierten Mexikanerin Natalia Lafourcade, die erst vor wenigen
Monaten einen klanglich wie optisch suggestiven Schwarz-Weiß-Videoclip mit
ihrer Interpretation veröffentlichte. Und auch die Zahl der instrumentalen
Neufassungen ist immens.
BerĂŒhrend ist etwa die aufs Wesentliche reduzierte Version des
Kontrabassisten Petros Klampanis. Der zwischen New York und seiner Heimat
pendelnde Grieche hat „Alfonsina y el mar“ fĂŒr sein aktuelles Album
„Rooftop Stories“ auserkoren, wo die ursprĂŒngliche Zamba fast wie ein
afroperuanischer Rhythmus daherkommt. Dabei hat Klampanis nach eigener
Aussage das Lied gar nicht durch Sosas emblematische Interpretation fĂŒr
sich entdeckt. Vielmehr soll ihm der Song erstmals auf dem 2004
veröffentlichten Album „Goodbye“ des schwedischen Pianisten Bobo Stenson
und dessen Trio zu Ohren gekommen sein – und seitdem zu seinen
Lieblingsliedern zÀhlen.
Verschlungene Wege wie diese sind bezeichnend fĂŒr die Popularisierung
dieses gut fĂŒnfzig Jahre alten Liedes, das den Erdball mehrfach umrundet
hat und von unterschiedlichsten Stimmungen und Stilen aufgegriffen wurde.
Beim Reisen entstanden ist auch das andere SchlĂŒsselwerk von Ariel RamĂ­rez:
jene vom Evangelium und von liturgischen GesÀngen wie von der heimischen
Folklore und ihren Rhythmen in damals gÀnzlich unerhörter Art
zusammengefĂŒgte „kreolische Messe“.
Die fĂŒr zwei Tenorstimmen, gemischten Chor, Schlagzeug, Klavier und
traditionelle andinische Instrumente komponierte „Misa Criolla“ wurde in
den 1950ern, zehn Jahre vor ihrer Vollendung, in Europa wÀhrend eines
Klosteraufenthalts von RamĂ­rez in WĂŒrzburg inspiriert.
Dort hatte der Argentinier zwei katholische Schwestern kennengelernt, die
wĂ€hrend der Shoah inhaftierte Juden und JĂŒdinnen illegal mit Essen versorgt
haben. Bewegt von dieser Geschichte begann der Komponist schon auf dem
RĂŒckweg in sein Heimatland an diesem Werk zu Ehren der zwei Helferinnen zu
arbeiten. Heute wird die „Misa Criolla“ nebst seiner Weihnachtskantate
„Navidad Nuestra“ als wichtigstes, auch weltweit populĂ€rstes Werk der
argentinischen Sakralmusik betrachtet.
Begeistert von der „Misa Criolla“ ist seit Langem etwa auch der Geiger
Daniel Hope. Und so gab er fĂŒr sein just einen Tag vor Ariel RamĂ­rez’ 100.
Geburtstag erscheinendes neues Album „Hope“ ein spezielles Arrangement des
Werks bei Paul Bateman in Auftrag, der dem Original einige völlig neue
Facetten hinzufĂŒgte.
Gut zu wissen, dass RamĂ­rez mehr als 300 Kompositionen umfassendes Werk
„work in progress“ bleibt. In einem Internetforum heißt es: „Es ist fĂŒr…
Hispanoamerikaner so wichtig wie die Schubert-Lieder im Rest der
(Musik-)Welt“.
28 Aug 2021
## AUTOREN
Katrin Wilke
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