# taz.de -- berliner szenen: Fünf Promille statt Corona | |
Ein großes Berliner Krankenhaus. Rettungsstelle. Es ist Samstagnacht. Ich | |
bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Ich habe genug von Corona. | |
So dermaßen genug, dass ich mich über jeden freue, dessen PCR-Test negativ | |
ist. Auch über die, die stattdessen fünf Promille haben. Heute sind es vier | |
Männer. Sie sitzen brav nebeneinander auf ihrer Liege, während die | |
Chirurgin einem nach dem anderen die Platzwunde näht. Ohne Betäubung. „Tut | |
das nicht weh?“, frage ich. „I wo, bei so viel Alkohol“, sagt die | |
Chirurgin. Sie kommt aus Bayern. Die vier Männer kichern. „Waren Sie schon | |
im CT?“, frage ich. Alle nicken brav. „Koa Blutung“, sagt die Chirurgin, | |
„wenn i fertig bin, schick i sie dir zum ausnüchtern.“ Die Männer blicken | |
bewundernd zu ihr auf. Ob ich nicht doch hätte Chirurgin werden sollen? | |
Nähen ist so viel cooler als ausnüchtern. Die Chirurgin setzt einen | |
besonders eleganten Stich, die Männer seufzen. | |
Mir fällt mein erster Nebenjob ein, noch zu Schulzeiten, in einer großen | |
Anwaltskanzlei. Ich saß im Großraumbüro und sortierte Akten. Einer der | |
Anwälte verwechselte mich mit seiner Sekretärin. „Der Knopf muss angenäht | |
werden“, sagte er und gab mir sein Jackett. Ich weiß noch, wie überrascht | |
ich war und wie lange ich für meine Antwort brauchte. „Ich kann gar nicht | |
nähen“, sagte ich schließlich. Die echte Sekretärin kam mir zu Hilfe. „I… | |
übernehme das.“ Der Anwalt nickte. Im Hinausgehen drehte er sich noch | |
einmal um. „Das lernen Sie mal. Sonst finden Sie nie einen Mann.“ Hatte ich | |
damals aus Trotz den Entschluss gefasst, Internistin zu werden? „Warum | |
können Sie eigentlich nicht nähen?“, holt mich einer der Betrunkenen aus | |
meinen Gedanken. Betont gleichgültig zucke ich mit den Schultern. „Ich habe | |
schon einen Mann“, sage ich. Dann nehme ich die vier mit zum ausnüchtern. | |
Eva Mirasol | |
28 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Eva Mirasol | |
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