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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic: Egal was die Poliz…
Große Männer vor!“, schreit eine grauhaarige Frau in Moabit. Mit anderen
„Querdenkern“ steht sie mitten auf der Lessingbrücke und wird von der
Polizei am Weitergehen gehindert. „Große Männer vor!“, schreit sie erneut,
reißt dabei die Augen weit auf und fuchtelt energisch Richtung Absperrung.
Die ältere Dame wünscht sich mehr Action, große Männer sollen gefälligst
die Absperrung durchbrechen.
Andere Frauen stimmen mit ein: „Große Männer vor! Große Männer vor!“ Ein
paar große und auch nicht so große, aber entschlossene „Querdenker“ kommen
schließlich den Aufforderungen nach und drängeln sich durch die Menge
unmittelbar vor die Polizistinnen und Polizisten. „Lasst uns durch!“,
schreien sie der Polizei ins Gesicht. „Ihre Demonstration wurde verboten.
Hier kommen Sie nicht durch“, erwidert ein Polizist. Und wie das dann so
ist im Demo-Gedrängel: es wird herumgeschrien, es wird beleidigt, es kommt
zu Handgreiflichkeiten. Die Polizei setzt schließlich Tränengas ein.
Sie können sich denken, was dann passiert: das Geschrei ist groß. Aber
kurze Zeit später wird es ruhig. Mit angeschwollenen Augen und stark
hustend werden die Männer von ihren Kumpels und Freundinnen auf dem
Bürgersteig mit Wasser versorgt, Zeit zum Wundenlecken. „Das ist
Faschismus. Das ist wie SA und SS!“, schreit einer Richtung Polizei. Dann
heißt es nach ein paar Minuten aus einem Lautsprecher der Coronaleugner
„Hier entlang!“. Der Aufzug dreht um und zieht weiter.
Sie spazieren wütend durch Moabit, blockieren Straßen, überall Stau.
Niemand hält Abstand, niemand trägt Maske. Und immer wieder diskutieren
Teilnehmer des Aufzugs mit der Polizei. Unter den „Querdenkern“ scheinen
viele Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten dabei zu sein, oftmals werden
Paragrafen zitiert. Die Polizei aber bleibt hart und lässt sich nicht
erweichen, sie lassen die Coronaleugner nicht ins Regierungsviertel. „Das
werdet ihr irgendwann bereuen. Und bezahlen!“, sagt ein wütender
Grauhaariger.
Die Gleichsetzung der Polizei mit der SS, die Verharmlosung von
NS-Verbrechen, das hört man hier oft. Egal was die Polizei macht, es ist
„Nazi“. Oder: „Diktatur“. „Warum trägst du eine Windel im Gesicht, b…
Teil der Diktatur?“, heißt es beispielsweise am Potsdamer Platz, als eine
junge Dame, die nichts mit der verbotenen Demo zu tun hat und einfach nur
über die Straße will, auf „Querdenker“ stößt. Sie flüchtet. Aber auch …
„Querdenker“ werden so begrüßt: „Fuck off, ihr Schwurbler-Nazis!“, he…
an einer anderen Kreuzung. „Wer ist hier Nazi? Ihr seid doch
Antifa-Nazis!“, brüllen sie zurück.
Es ist eine eigentümliche Mischung von Menschen, die da als „Querdenker“
durch die Straßen zieht. Pensionäre mit Trillerpfeife, Socke und Sandale.
Kurzhaarige mit Hooligan-Klamotte. Langhaarige mit Pentagram-T-Shirts.
Omas, die Seifenblasen blasen, Frauen mit Traumfängern in den Haaren. Was
auffällt: Diesmal sind im Unterschied zu anderen „Querdenker“-Aufzügen
keine Reichsflaggen zu sehen.
Als der umherirrende Pulk an der Charité entlangläuft, auf deren Stationen
in den letzten anderthalb Jahren aufgrund von Covid-Erkrankungen deutlich
über 2.800 Menschen stationär behandelt werden mussten, singt eine
Batik-Look-Frau in einem meditativen
Heya-Heya-Klangheilzentrums-Gesangsstil in ihren Lautsprecher: „Heiliger
Spahn, stopp den Impfwahn. Heiliger Spahn, stopp den Impfwahn.“
Kurze Zeit später verlasse ich die „Querdenker“ und gehe in die Urania zu
der kleinen Ausstellung „Der Wurm: Terrestrisch, Fantastisch und Nass“.
Laut Katalog wird man in das Innere des Wurmkörpers geleitet. Glitschig und
nass wird es aber erst auf dem Heimweg, als es regnet.
31 Aug 2021
## AUTOREN
Aleksandar Zivanovic
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