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# taz.de -- nord🐾thema: Vom Grau zum Grün
> Wenn Regenwasser nicht versickern kann, drohen besonders den dicht
> besiedelten Städten lokale Überschwemmungen. In Hannover unterstützt ein
> städtisches Förderprogramm die Entsiegelung von Hinterhöfen. Das steigert
> zudem die Lebensqualität der Anwohner*innen
Bild: Oase inmitten der Ödnis: Hier könnte eine Entsiegelung das Planschen im…
Von Pascal Luh
Wie es früher in ihrem Hinterhof aussah, hat Julia Langemann noch genau vor
Augen. „Grau, grau, grau“, schildert es Langemann, die mit ihrer Familie in
einem Mehrfamilienhaus in Hannovers Stadtteil Linden-Limmer wohnt. „Da war
nichts außer Garagen und Betonplatten.“ Nebenan sieht es heute in weiten
Teilen noch immer so aus, der Stadtteil ist durchzogen von mehrstöckigen,
dicht bebauten Häuserreihen mit grauen, planierten Hinterhöfen. Im
Hinterhof bei Langemann hingegen grünt es mit Unterstützung eines
städtischen Förderprogramms wieder – das steigert nicht nur die
Wohnqualität für die Anwohner:innen, sondern die Entsiegelung von Flächen
ist auch ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz in den Städten.
Entsiegelung, also die Rückumwandlung zuvor betonierter oder gepflasterter
Flächen, kann die schädlichen Effekte von Versiegelung rückgängig machen.
Denn versiegelte Flächen können gleich zu mehreren Umweltproblemen führen.
„Versiegelung führt zu einem kompletten Ausfall der wichtigsten
Bodenfunktionen“, sagt etwa Frank Glante, Fachgebietsleiter für
Bodenzustand und Bodenmonitoring des Umweltbundesamtes. Einerseits könne
kein Regenwasser mehr im Boden versickern. Das habe erhebliche Auswirkungen
auf das Stadtklima und die lokale Überschwemmungsgefahr. Andererseits
gelangt das Regenwasser nicht mehr ins Grundwasser, um dieses anzureichern.
Und wenn es direkt in die Kanalisation abläuft, kann es außerdem nicht mehr
durch Verdunstung zur Kühlung des immer wärmer werdenden Mikroklimas
beitragen.
Auch in Hannover kennt man diese Probleme. „Viele Großstadthinterhöfe sind
noch geprägt durch Betonplatten, Garagenbauten und Abstellplätze mit einer
geringen Transpirations- und Versickerungsmöglichkeit und laden zudem nicht
zum Verweilen ein“, sagt Ulrich Prote, Fachbereichsleiter für Umwelt und
Stadtgrün bei der Stadt Hannover.
Das dort angestoßene Projekt „Begrüntes Hannover“ unterstützt private
Grundstückseigentümer*innen finanziell mit bis zu einem Drittel und
maximal 10.000 Euro der anfallenden Kosten bei einer Entsiegelung von
privaten Flächen. Das Fördermodell wurde im Jahr 2020 für ein Jahr
verlängert und läuft noch bis zum 31. Dezember 2021. Bis dahin ist es noch
möglich, Anträge zur Mitfinanzierung zu stellen.
Trotz der Auswirkungen versiegelter Flächen gab es zuvor nur wenige
städtische Projekte zur Entsiegelung. Um das zu ändern, hatte sich die
Stadt Hannover mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) zusammengetan. Sie wollen für
mehr Grün in Hannover sorgen. Gemeinsam starteten sie 2012 zu erst ein
Förderprogramm zur Begrünung von Dächern und Fassaden. Dazu kam 2017 noch
die Förderung zur Entsiegelung von Hinterhöfen, mit der auch Familie
Langemann ihren Hinterhofgarten realisierte. „Versiegelte Hinterhöfe,
Parkplätze und Zufahrten lassen sich mit wenig Aufwand und finanzieller
Unterstützung in grüne Wohlfühloasen umwandeln“, sagt Prote. Mit den
gravierenden Wirkungen des Klimawandels umzugehen, sei aus Sicht der Stadt
eine Aufgabe, die nur unter Einbeziehung privater Grund- und
Gebäudeeigentümer*innen bewältigt werden kann.
Als Langemann vor vier Jahren von der städtischen Förderung hörte,
entschloss sie sich, die Fläche zu entsiegeln. „Wir haben die Hälfte in
Rasenfläche umgewandelt und die andere Hälfte bepflanzt“, sagt Langemann.
Da, wo vorher nur graue Ödnis war, stehe jetzt ein Grill, eine
Bierzeltgarnitur und eine Rutsche für die Kinder. Nebenan wachsen
Himbeeren, Stachelbeeren und ein paar Blumen.
Der BUND sieht das Projekt als erfolgreich an. So konnten etwa seit 2017
betonierte Hinterhöfe mit einer Gesamtfläche von rund 1.800 Quadratmeter
Fläche im Stadtgebiet entsiegelt werden. Das seit 2012 laufende Programm
zur Dachbegrünung verzeichnet sogar eine Gesamtsumme von 10.000
Quadratmetern begrünter Dachflächen und Fassaden.
Frank Glante vom Umweltbundesamt betont jedoch, dass eine Entsiegelung
nicht alle Probleme löse. Der Urzustand des überdeckten Bodens sei zum
Beispiel nicht so einfach wiederherstellbar. „Durch Entsiegelung kann man
einen Teil der Bodenfunktionen wiederherstellen.“ Durch die Versiegelung
wäre allerdings vorher der Mutterboden entfernt und dadurch der natürliche
Bodenaufbau zerstört worden. Für einen funktionierenden Boden müssten sich
die Bodenorganismen erst wieder ansiedeln.
Dennoch spricht sich Glante für das Entsiegelungsprojekt in Hannover aus –
von dem sich auch andere Kommunen etwas abschauen könnten, aber das die
Stadt Hannover auch noch ausweiten könne: „Wenn ich zum Beispiel vom
Bahnhof in Hannover in die Innenstadt laufe, sind die ersten Kilometer die
reine Betonwüste. Daran können auch die Stadtbäume mit den viel zu kleinen
Baumscheiben nicht viel ändern.“
Auch laut dem BUND reicht das Projekt noch nicht, um die negativen Folgen
der Flächenversiegelung in Hannover zu beheben. Laut einer Studie des
Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft aus dem Jahr 2018 ist
der Versiegelungsgrad in Hannover hoch: Unter den 50 bevölkerungsreichsten
Städten in Deutschland liegt Hannover hinter München und Oberhausen auf
Rang drei.
Noch ist also viel zu tun. Doch auch unabhängig vom Beitrag zum Klimaschutz
hat das Projekt einen kleinen Traum ermöglicht. Langemann ist glücklich
über ein bisschen Grün, wo vorher nur Beton war: „Wenn ich jetzt aus dem
Fenster schaue, sieht es einfach schön aus.“
Weitere Informationen auf www.begruenteshannover.de
21 Aug 2021
## AUTOREN
Pascal Luh
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